Tuberkulose in Tadschikistan: Nadiras Geschichte

11.10.2012
Reportage über Betroffene
Tadschikistan 2012
Natasha Sergeeva/MSF
Duschanbe, Tadschikistan, 10.10.2012: Ein junger Patient, der an multiresistenter Tuberkulose leidet, bespricht die Einnahme seiner Medikamente mit Ärzte ohne Grenzen-Krankenschwester Cindy Gibb.

Nadira* und ihre beiden Söhne, im Alter von drei und vier Jahren, leben in einem 40 Kilometer von Duschanbe gelegenen Bergdorf. Alle drei werden gegen Tuberkulose (TB) behandelt, zwei von ihnen gegen die resistente Form der Krankheit. Nach fünf Monaten in einem TB-Krankenhaus in der Hauptstadt, unter der Obhut von Ärzten, Krankenschwestern und psychologischen Beratern von Ärzte ohne Grenzen, ist die Familie vor kurzem nach Hause zurückgekehrt und führt ihre Behandlung ambulant weiter. Nadiras Schwester Gulnara wohnt in der Nähe. Sie und ihre beiden Kinder leiden an multimedikamentenresistenter Tuberkulose (MDR-TB). Gulnaras siebenjährige Tochter starb im Vorjahr an einer tödlichen Kombination von TB und Meningitis.

Die Tuberkulose hat Nadiras Großfamilie getroffen und viele Leben zerstört. In Tadschikistan leben die Menschen traditionell vor allem in großen Familien, mit mehreren Generationen, die oft unter einem Dach leben. Wenn ein Kind in das TB-Krankenhaus in der Nähe von Duschanbe aufgenommen wird, ist es die erste Aufgabe des Beraters, einen Familienstammbaum zu erstellen. Dies hilft herauszufinden, wo das Kind mit der Krankheit in Kontakt kam und wer sonst in Gefahr sein könnte.

Viele ähnliche Schicksale

Für Nadira begann alles, als ihre Schwester Muhabbat ein Waisenkind aus der Familie ihres Mannes aufnahm. Das Mädchen war vor kurzem mit ihrer Mutter aus Duschanbe zurückgekehrt, wo sie sich mit der Arbeit auf dem Markt in der Stadt Geld verdiente. Kurz nachdem sie zurückkehrten, starb die Mutter des Mädchens an TB und auch das Kind selbst fühlte sich krank.

In den darauffolgenden Jahren bekamen vier von Nadiras fünf Geschwistern TB, von denen zwei – Muhabbat und Shoira – gestorben sind. Ihr Bruder litt ebenfalls an Tuberkulose, erholte sich aber, während zwei Nichten im Teenageralter krank sind. Insgesamt elf Familienmitglieder bekamen die Krankheit.

Betroffene werden stigmatisiert

Es gibt unzählige Familien wie Nadiras in Tadschikistan, die gegen eine Krankheit kämpfen, gegen die es ein tief verwurzeltes Stigma gibt und von der im Allgemeinen angenommen wird, das sie vererbt wird und unheilbar ist. Der Ansatz von Ärzte ohne Grenzen besteht darin, die Kontakte der Kinder, die mit TB diagnostiziert wurden, sorgfältig zu verfolgen. Kinder sind oft der Einstiegspunkt in Großfamilien wie der von Nadira. So bietet sich der Weg, die Verwandtschaftsbeziehungen zu entwirren und vernachlässigte TB-Patienten zu erreichen, deren Krankheit möglicherweise unbestätigt und unbehandelt ist.

Zafars Geschichte

Zafar, ein schmaler 12-jähriger Junge mit neugierigen Augen, begrüßt uns in seinem Zimmer in der Abteilung für medikamentenresistente TB des Machiton-Krankenhauses und greift rasch nach einer chirurgischen Maske. In einigen TB-Einrichtungen in Tadschikistan sind Maßnahmen zur Infektionskontrolle, wie das Tragen von Masken, noch nicht implementiert –auch nicht für medizinisches Personal. Aber ein solches Verhalten wird in der von Ärzte ohne Grenzen geleiteten Abteilung nicht geduldet.

Zafars Bruder ist an Tuberkulose gestorben. Im Jänner starb seine Mutter an MDR-TB. Zafar ist zuvor schon gegen TB behandelt worden, aber die Behandlung war nicht erfolgreich. So wurde er vor drei Monaten mit Fieber und trockenem Husten und nachdem er viel Gewicht verloren hatte, erneut ins Krankenhaus aufgenommen. Im Gegensatz zu vielen Kindern, die Schwierigkeiten haben, Auswurf für die Analyse auszuhusten, schaffte Zafar es genügend Speichel zu produzieren und wurde mit MDR-TB diagnostiziert.

Fortschritte

Die Behandlung von Zafar geht gut voran. Er hat an Gewicht zugenommen und verträgt die Medikamente, obwohl er einige Nebenwirkungen wie Gelenkschmerzen und Durchfall hat. Obwohl eine seiner Lungen schon sehr geschädigt ist, ist er nicht mehr kurzatmig und träumt davon, wieder Sport zu treiben.

Auf die Frage nach seiner Behandlung wird Zafar gebeten, an den Fingern seine tägliche Dosis aufzuzählen: „Drei weiße Pillen, zwei gelbe Pillen, eine rote Pille, zwei braune Kapseln, ein Säckchen mit Granulat und eine Injektion."

„Ich hoffe, bald spielen wir zusammen Fußball"

Am folgenden Tag werden die Ärzte des Krankenhauses entscheiden, ob es Zafar gut genug geht, um nach Hause zurückzukehren und ambulant zu Ende behandelt zu werden. Seine Großmutter und sein Vater hoffen darauf, dass er zu ihnen nach Hause zurückkehren kann. Wenn diese Entscheidung fällt, wird Ärzte ohne Grenzen alle notwendigen Medikamente bereitstellen. Eine von Ärzte ohne Grenzen geschulte Krankenschwester wird Zafar täglich besuchen, um sich um die Pillen und Injektionen zu kümmern und seine Fortschritte zu überwachen.

Zafars Großmutter sieht die Aufsicht durch eine Krankenschwester sehr positiv. „Oh ja, es muss sich die ganze Zeit jemand um ihn kümmern", sagt sie. „Er muss sogar ans Essen erinnert werden, denn er ist völlig von seinem Computer oder Handy gefesselt." „Das ist normal", antwortet Cindy Gibb, die Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen. „Er ist trotz allem erst zwölf Jahre alt."

Aufs Stichwort läuft Zafar durch den Raum, holt sein Handy und zeigt Bilder von seiner kleinen Schwester, die er vermisst. „Ich hoffe, dass wir bald zusammen Fußball spielen werden ", sagt er.

* Die Namen der PatientInnen wurden geändert.