25 Peitschenhiebe zum Frühstück

05.08.2009
Entführt von der LRA - Die Geschichte von Mboli
Mboli Ngbanami Dingiso
Brendan Bannon
Sudan, 05.06.2009: Mboli (16) wurde im Jänner 2009 bei einem Angriff auf sein Dorf im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo gemeinsam mit 20 Klassenkameraden – darunter seinem Bruder Muka - aus der Schule entführt. Sein Heimatort war eines jener Dörfer, das in einer Serie von grausamen Angriffen der ugandischen Rebellengruppe „Lord’s Resistance Army“ (LRA) attackiert wurde.

Die Bevölkerung des Nordens der Demokratischen Republik Kongo und des Südsudans leidet weiterhin unter gewalttätigen Angriffen der ugandischen Rebellen der Lord's Resistance Army (LRA). Zehntausende Kongolesen haben im Südsudan Zuflucht gesucht. Die ugandischen Rebellen haben aber auch dort Dörfer angegriffen, so dass auch Tausende Sudanesen zur Flucht gezwungen waren. Ärzte ohne Grenzen unterstützt nicht nur die Vertriebenen sondern auch die einheimische Bevölkerung. Die Teams leisten medizinische und psychologische Hilfe und versuchen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

250.000 Kongolesen wurden nach offiziellen Angaben von ihrem Land vertrieben und haben damit ihre Existenzgrundlage verloren. Zehntausende Flüchtlinge sind in den benachbarten Südsudan geflohen und suchen dort in den Grenzstaaten Central- und Western Equatoria Schutz und Unterstützung. Die LRA führt aber auch in diesen Regionen Angriffe durch, so dass Tausende Sudanesen ebenfalls fliehen mussten. Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzt, dass es in Central- und Western Equatoria 50.000 kongolesische Flüchtlinge und sudanesische Vertriebene gibt.

Eine gemeinsame Offensive der ugandischen, kongolesischen und südsudanesischen Armeen gegen die LRA hat die Gewalt verschlimmert und die Situation für die Menschen verschärft. Ganze Dörfer wurden während der Angriffe geplündert und oftmals niedergebrannt. Menschen wurden mit Macheten getötet, Kinder und Frauen rekrutiert oder als Sexsklaven entführt.

"Morgens bekamen wir 25 Peitschenhiebe. Das war unser Frühstück", erzählt der 16-jährige Mboli, der im Januar während eines Angriffs auf sein Dorf im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo gemeinsam mit 20 Schulkameraden aus dem Klassenzimmer entführt wurde. Und er berichtet weiter: „Wir haben die Toten auf der Straße gesehen. Sie hatten die Menschen mit Stöcken geschlagen, mit Bajonetten erstochen und ihre Körper in den Fluss geworfen.“

 

Keine Zeit, um die Toten zu begraben

 

Die LRA hat Mboli und andere Jungen nach drei Tagen aufgefordert zu gehen - nicht so seinen Bruder. Mboli musste losrennen, ohne sich von seinem Bruder Muka verabschieden zu können. Er ist zu seinem Elternhaus gelaufen, aber alles war zerstört.

„Meine Eltern haben sich in der Nähe im Busch versteckt und auf Neuigkeiten von uns gewartet. Als ich ihnen erzählt habe, dass Muka noch festgehalten wird, hat mein Vater angefangen zu weinen. Er sagte aber auch, dass wir nicht auf meinen Bruder warten dürfen, dass wir fliehen müssen.“

 

Auf der Suche nach Schutz im unsicheren Sudan

 

Nach ihrer Ankunft im Sudan suchen die Menschen in den neu errichteten Flüchtlingslagern Zuflucht oder bauen sich innerhalb der sudanesischen Gemeinschaft Behelfsunterkünfte. Sie halten sich in der Nähe der Straßen auf, die in den Kongo führen. Damit verbunden ist die Hoffnung, von den Neuankömmlingen Informationen über ihre Lieben zu bekommen, die sie zurückgelassen haben.

Doch der Südsudan ist selbst eine Region, in der es in vielen Gebieten Spannungen gibt. Gewalttätige Angriffe nehmen in verschiedenen Regionen zu, außerdem gibt es große Armut und einen akuten Mangel an Basisversorgung. „Es ist traurig, dass die Menschen in einer Region Schutz suchen müssen, die an sich schon nicht sicher ist“, sagt Karl Nawezi, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen für den Südsudan. „Unsere medizinischen Teams im Südsudan haben bereits mit den immensen Bedürfnissen der Sudanesen zu kämpfen. Dennoch erzählen uns die kongolesischen Patienten, dass sie sich im Südsudan etwas sicherer fühlen, obwohl die LRA auch hier aktiv ist.“

Ärzte ohne Grenzen ist seit mehreren Jahren im Südsudan tätig und konnte daher schnell Nothilfeprojekte einrichten, um für die Flüchtlinge und Vertriebenen medizinische Hilfe, Unterkünfte und sanitäre Einrichtungen bereitzustellen. Mitarbeiter unterstützten im Staat Western Equatoria seit September 2008 mehr als 15.000 Flüchtlinge und Vertriebene. Im Februar 2009 hat die Organisation im Staat Central Equatoria ein zweites Nothilfeprogramm gestartet, in dem weitere 7.000 Menschen Hilfe finden.

 

Psychologische Hilfe für traumatisierte Menschen

 

Medizinische Hilfe, Nahrung, Unterkünfte und sanitäre Einrichtungen sind nur ein Teil der Unterstützung, die die Menschen benötigen, die vor der anhaltenden Gewalt geflohen sind. Viele Flüchtlinge und Vertriebenen sind aufgrund ihrer Erfahrungen völlig traumatisiert. Ärzte ohne Grenzen hat daher auch psychologische Programme, in denen sie die nötige Betreuung erhalten.„Eine Frau werde ich nie vergessen. Sie saß immer weinend unter einem Baum. Ihre Tochter wurde vor ihren Augen vergewaltigt und dann entführt. Sie wusste nicht, ob sie noch am Leben oder schon tot war“, erinnert sich Francesca Mangia, Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen im Staat Central Equatoria.

 

"Welche Zukunft?"

 

Vier Monate nach seiner Ankunft im Sudan erfährt Mboli, dass sein Bruder Muka der LRA entkommen konnte und in einem Krankenhaus in der D.R. Kongo ist. Sein Vater hat versucht, ihn zu besuchen. Die Straßen waren aber zu gefährlich und die Fahrt daher unmöglich. Er wird es erneut versuchen. Doch das Leben für Mboli und seine Familie wird nie wieder sein, wie es mal war.

„Ich mache mir solche Sorgen um Muka und unsere Zukunft. Die LRA ist dort, wo ich zuhause bin. Ich bin ein Flüchtling im Sudan, aber auch hier sind Rebellen. Wir können nicht über die Zukunft nachdenken. Welche Zukunft?“, sagt Mboli.