13.01.2023
Keine Medikamente? Was in Österreich derzeit für Schlagzeilen sorgt, ist für viele Menschen weltweit Dauerzustand. Hier teilen wir unsere Erfahrungen zum Thema Medikamentenknappheit.

Leere Regale in Apotheken? Was vor kurzem noch unvorstellbar war, wird gerade Realität in Österreich. Einige Medikamente sind kaum oder gar nicht mehr verfügbar.  

Wir sind in den Ländern, in denen wir arbeiten, ständig mit Medikamentenknappheit konfrontiert. Aber woher kommen die Engpässe, was bedeuten sie für Patient:innen und was könnte man tun, dass alle Menschen Zugang zu Medikamenten haben? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Thema zusammengefasst:  

Ist die Medikamentenknappheit eine österreichische Krise?

Nein. Was wir als Ausnahmezustand, als Krise erleben, nämlich dass hunderte Medikamente nicht selbstverständlich und immer verfügbar sind, ist für viele Menschen in einkommensschwachen Ländern eine ständige Realität. 

Sind Krankheitswellen und die COVID-19 Pandemie verantwortlich für den Engpass an Medikamenten?

Die Ursache für Medikamentenknappheit liegt nicht primär in Krankheitswellen. Die COVID-19 Pandemie trägt ohne Zweifel zur Verschärfung der Krise bei. Einerseits steigt der Bedarf an Medikamenten massiv, anderseits stehen Lieferketten unter enormem Druck.  

Aber die Pandemie ist nicht die Ursache: Das System der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung, Produktion, des Vertriebs leistet nicht mehr, was Patient:innen weltweit benötigen. 

Was sind die Ursachen für Medikamentenknappheit?

In den Ländern, in denen wir arbeiten, sehen wir ständig Engpässe an Medikamenten. Das sind die Ursachen dafür: 

  • Es gibt das Medikament gar nicht, weil das „Marktpotenzial“ von der pharmazeutischen Industrie als zu gering betrachtet wird (etwa bei vernachlässigten Tropenkrankheiten). 
  • Es wird zu wenig produziert, weil es ökonomisch nicht interessant erscheint (zum Beispiel Choleraimpfstoffe).
  • Es gibt das Medikament, aber es ist unleistbar für Patient:innen in einkommensschwachen Ländern. 
  • Es gibt die Wahrnehmung, dass es nicht genug gibt. Medikamente werden deshalb gehortet (zum Beispiel Covid-19 Impfstoffe; „Toilettpapiereffekt“). 

Welche Rolle spielt dabei die herstellende Pharmaindustrie?

Bestimmte Medikamente werden nur an einem einzigen Ort, in einer einzigen Fabrik, hergestellt. Die Produktion ist dadurch störungsanfällig. Gleichzeitig steigen die Produktionskosten und erhöhen den Druck auf die gesamte Branche, ihre Erträge zu maximieren. Investiert wird lieber in möglichst gewinnbringende Medikamente, nicht unbedingt in die, die am dringendsten benötigt werden. All das führt zu einem Ungleichgewicht an Angebot und Nachfrage – eben auch derzeit in Österreich.

Material sent from MSF supply (Belgium) to Ukraine
MSF
Medikamente und andere Hilfsgüter werden von unserem Logistikzentrum in die Ukraine verschickt.

Wie reagiert Ärzte ohne Grenzen auf Medikamentenknappheit?

Überall wo wir Patient:innen behandeln, bemühen wir uns um die ausreichende Versorgung mit Medikamenten. Wir schließen mit Produzenten weltweit langfristige Lieferverträge ab. Von unseren beiden Logistikzentren in Brüssel und Bordeaux werden die Medikamente weltweit versandt. Damit können wir auch auf kurzfristige Bedarfsspitzen, zum Beispiel durch Epidemien oder Katastrophen in einzelnen Ländern reagieren. 

Was passiert, wenn Menschen keinen Zugang zu Medikamenten haben?

Kein Medikament zu bekommen, wenn man (schwer) krank ist, bedeutet eine schwere Belastung für Patient:innen. Schwerere Verläufe und längere Leidenszeit sind die Folgen, im schlimmsten Fall ist das Leben bedroht. In einkommensschwachen Ländern sterben Menschen an behandelbaren Krankheiten, weil die lebensrettenden Medikamente fehlen. 

Global betrachtet: Sind (leistbare) Medikamente für alle möglich?

Ja. Wir setzen uns für einen weltweit gerechten und gleichberechtigten Zugang zu lebensrettenden Medikamenten ein und sind davon überzeugt, dass beides sehr gut möglich ist: für alle leistbare Preise und zugleich genügend Anreiz für eine ausreichende Produktion.

Im Rahmen unserer Medikamentenkampagne setzen wir uns für niedrigere Preise von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika ein und fördern die Herstellung von erschwinglichen Generika.  

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