02.05.2023
Wie ist es eigentlich auf der Straße um Spenden zu bitten? Wir haben bei Emil Wendel nachgefragt. Er ist unser Kampagnenleiter für Straßenfundraising.

Emil, du bist seit Jahren als Straßenfundraiser im Einsatz – da erlebt man bestimmt so Einiges?

Vom heiteren Junggesellenabschied, bis hin zum weinenden Passanten im Arm, der so gerührt von unserer Arbeit war – es gibt kaum Dinge, die ich noch nicht erlebt habe. Aber genau diese Begegnungen machen den Job als Straßenfundraiser:in so spannend. Denn gemeinsam mit den Menschen, die mir täglich begegnen und uns mit ihrer Dauerspende unterstützen, habe ich die Chance, Menschenleben zu retten. Und was besonders schön ist: Am Ende eines Gesprächs bedanken sich die Menschen jedes Mal bei mir. Denn wir helfen den Menschen zu helfen. Und helfen fühlt sich einfach gut an.

Gibt es typische Sprüche, die du gerne in einem Gespräch einsetzt?

Eigentlich nicht. Jedes Gespräch ist anders und lebt vom Moment. Wobei einer fällt mir doch ein: „Keine Angst, es gibt keine Verpflichtungen. Sie müssen mich heute nicht heiraten – Glück gehabt! Aber Sie dürfen Menschenleben retten, wenn Sie wollen?“

„Interessiert mich nicht. Nein, danke. Keine Zeit“ – Wie nah geht dir Ablehnung?

Als ich im Straßenfundraising begonnen hab, ist schon mal die eine oder andere Träne geflossen. Und auch heute merke ich, wie meine Haut an manchen Tagen dünner ist als an anderen. Ich nehme Ablehnung auch als mein eigenes Versagen wahr. Mache ich meinen Job nicht gut? Ich versuche dann mich nicht einschüchtern zu lassen und die eigene gute Laune aufrecht zu erhalten. Buchstäblich in den grantigen Apfel zu beißen, bis man wieder gute Gespräche hat.

Emil Wendel, Ärzte ohne Grenzen

Wir schaffen Aufmerksamkeit und geben Menschen die Möglichkeit, zu reagieren und zu helfen.

Emil Wendel, Städtekampagnenleiter Straßenfundraising

Ist dir eine Begegnung besonders in Erinnerung geblieben?

Im Straßenfundraising hört man oft, dass man Menschen am Weg zur Arbeit und jene, die grantig schauen, gar nicht anzusprechen braucht – die spenden ohnedies nicht. Also wollte ich’s wissen und genau diesen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und ihnen gute Laune machen. Da ist auch schon der erste grantige Passant ums Eck gekommen. Perfekt! Auf meine nette Begrüßung sind prompt wüste Beschimpfungen gefolgt. War wohl nichts! Ein paar Stunden später dann die Überraschung: Der Mann ist direkt auf mich zugekommen, hat mich freundlich begrüßt und sich für seinen vorherigen Ausbruch entschuldigt. Er fände es „richtig beeindruckend und wichtig, was wir hier machen“. Das Beste? Er hat daraufhin gleich eine Dauerspende für unsere medizinische Nothilfe abgeschlossen.

Warum fragt ihr eigentlich nach einer Dauerspende?

Durch sie können wir langfristig planen, aber auch bei unvorhersehbaren Notfällen sofort helfen und Leben retten. Würden wir erst nach einem Erdbeben um Spenden bitten, wäre es zu spät. Und wenn viele Menschen monatlich einen kleinen Betrag spenden, können wir gemeinsam Großes bewirken.

Straßenfundraising, Straßenwerbung, Ärzte ohne Grenzen
Tina Götz / MSF

Warum ist es so wichtig, auf der Straße um Spenden zu bitten?

Menschen tragen es in sich, anderen Menschen zu helfen. Doch nur wenige wachen in der Früh auf und denken sich „Was kann ich heute Gutes tun und wo kann ich spenden?“.  Hier kommen wir ins Spiel: Wir schaffen Aufmerksamkeit und geben Menschen die Möglichkeit, zu reagieren und zu helfen.

Der Job ist sicher auch fordernd. Was treibt dich an?

Neben den schönen Begegnungen ist auch das Team eine enorme Motivation für mich. Ein Team, auf das ich irrsinnig stolz bin. Denn sich auf der Straße für die Arbeit und Werte einer NGO einzusetzen, ist unglaublich bewundernswert.  Unser Teamgeist ist einzigartig und zusammen haben wir immer eine lustige Zeit. Obwohl es sicher nicht immer leicht ist, wildfremde Menschen um Spenden zu bitten, sind wir gemeinsam immer gut drauf.  Und gute Laune ist ja bekanntlich ansteckend. Wie könnte ich auch nicht gut drauf sein? Ich habe ein riesengroßes Glück mein Leben mit etwas gestalten zu können, das einen so besonderen Effekt hat.

Penetrant, hartnäckig, nervig – die Liste der Vorurteile gegenüber Straßenwerber:innen ist lang. Was möchtest du Passant:innen mitgeben?

Perspektive wechseln! Das Gespräch mit uns ist die Chance eine Organisation besser kennenzulernen. Wir kennen die Menschen, die Projekte und können direkt Fragen beantworten. Man hat die Möglichkeit alles über eine NGO zu erfahren – und das in einer persönlichen Unterhaltung. Und wie inspirierend ist es, dass sich junge, motivierte Menschen für eine gute Sache einsetzen?