Ärzte ohne Grenzen verurteilt unmenschliche Behandlung von Migrant:innen im Grenzgebiet von Niger

01.06.2022
Ärzte ohne Grenzen ruft dazu auf, bei Grenzkontrollen die Menschenwürde zu respektieren

Ärzte ohne Grenzen verzeichnete in Niger von Jänner bis Mai 14.196 aus Algerien nach Niger abgeschobene Migrant:innen, darunter 6.749 Personen, die nicht aus Niger waren. 139 dieser Migrant:innen waren Frauen und 30 waren minderjährig. Im Durchschnitt werden jeden Monat etwa 2.000 Migrant:innen aus Algerien und Libyen ausgewiesen. Unter ihnen sind auch Schwerverletzte, Überlebende von Vergewaltigungen und Menschen mit schweren Traumata. Bei der Abschiebung werden diese Migrant:innen mitten in der Wüste an der Grenze zwischen Algerien und Niger ausgesetzt, an einem Ort namens Point Zero, rund 15 Kilometer von der Stadt Assamaka entfernt.

Fast 70 Prozent der Migrant:innen, die von Ärzte ohne Grenzen medizinisch versorgt wurden, gaben an, dass sie Gewalt und erniedrigender Behandlung durch algerische und libysche Wachposten ausgesetzt waren.

„Die Schwere der Übergriffe, die Migrant:innen erfahren haben, ist unbestritten. Die Aussagen unserer Patient:innen und ihr physischer und psychischer Zustand bei ihrer Ankunft in unseren Gesundheitseinrichtungen beweisen, dass diese Menschen während ihrer Vertreibung aus algerischem und libyschem Gebiet durch die Hölle gegangen sind", erklärt Jamal Mrrouch, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Niger.

Durch Initiativen der Europäischen Union zur Eindämmung der Migration ist die Migrationsroute immer gefährlicher geworden: Migrant:innen und Schmuggler:innen sind gezwungen, äußerst gefährliche Wege durch die Wüste zu nutzen, um die Grenzkontrollen zu umgehen. Dadurch steigt die Ausbeutung von Migrant:innen durch Schmuggler:innen.

Der Zugang zu Basisdienstleistungen, einschließlich Gesundheitsversorgung, ist für Migrant:innen aufgrund ihres rechtlichen Status sehr kompliziert. Seit 2018 organisieren Teams von Ärzte ohne Grenzen regelmäßig Rettungseinsätze, um denjenigen zu helfen, die in der Wüste verloren gegangen oder ausgesetzt worden sind. Ärzte ohne Grenzen unterstützt mehrere Gesundheitszentren und mobile Kliniken in der Region Agadez und bietet kostenlose medizinische Versorgung, psychosoziale Unterstützung, Überweisungen für komplizierte Fälle und Notfallevakuierungen an. Im Jahr 2021 wurden mehr als 47.000 Behandlungen durchgeführt, darunter 34.276 psychologische Beratungen. Zwischen 2020 und 2021 wurden insgesamt 38 Leichen von Migrant:innen identifiziert.

Menschenwürde muss bei Grenzkontrollen respektiert werden

Angesichts der alarmierenden Situation ruft Ärzte ohne Grenzen die regionalen Behörden und ihre Partner dazu auf, humane, schnelle, angemessene und nachhaltige Lösungen für das Leid der Migrant:innen zu finden, die aus Algerien und Libyen in die Sahel-Wüste zurückgedrängt werden.

„Unser Ziel ist es nicht nur, auf die Situation dieser Migrant:innen aufmerksam zu machen. Als humanitärer Akteur und Zeuge des schrecklichen Leids von Tausenden in der Sahelzone ist es unsere Pflicht, diese humanitäre Tragödie anzuprangern", erklärt Jamal Mrrouch. „Es ist auch unsere Pflicht, die betroffenen Behörden, die Europäische Union und die humanitären Partnerorganisationen aufzufordern, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um bei Grenzkontrollen die Menschenwürde zu respektieren. Wir können diese Situation nicht weiterhin einfach ignorieren und glauben, dass sich das Problem von selbst lösen wird."

2021 wurden 27.208 Migrant:innen, die die Flucht über das Mittelmeer versucht hatten, unter unmenschlichen Bedingungen aus Algerien nach Assamaka im Grenzgebiet zu Niger abgeschoben. Im Jahr 2020 lag die Zahl der Abgeschobenen bei 23.171, was einem Anstieg von 17,40 % entspricht.

Eva Hosp, Media und Events

Eva Hosp

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