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Unsichtbare Wunden: Ärzte ohne Grenzen berichtet über einen Anstieg posttraumatischer Belastungsstörungen in der Ukraine
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Mehr als die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung leidet unter einer erheblichen Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit infolge des Krieges. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind die am weitesten verbreiteten Gesundheitsprobleme psychische Probleme, von denen 46 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, gefolgt von psychischen Störungen (41 Prozent) und neurologischen Erkrankungen (39 Prozent).
Ärzte ohne Grenzen versucht, den dringenden Bedarf an psychologischer Hilfe für die vom Krieg betroffenen Menschen in verschiedenen Regionen der Ukraine abzudecken und konzentriert sich dabei auf die am stärksten gefährdeten Gruppen: diejenigen, die noch immer in der Nähe der Frontlinie leben; Menschen, die dem Krieg direkt ausgesetzt sind, Schwerverletzte und ihre Familienangehörigen sowie Binnenvertriebene; und Menschen, die ihre Familien oder Angehörigen verloren haben.
In Winnyzja in der Zentralukraine betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Zentrum für psychologische Hilfe, das der Behandlung von traumatischem Stress gewidmet ist. In diesem Zentrum arbeiten Ärzt:innen, Psychiater:innen, Psycholog:innen und Gesundheitsberater:innen mit Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, die auf den Krieg zurückzuführen ist. Um die Genesung zu unterstützen, bietet das Team sowohl individuelle Therapiesitzungen als auch kreative Gruppenkurse an. Das Team von Ärzte ohne Grenzen hat 2025 einen Anstieg der Menschen, die wegen psychischer Traumata Hilfe suchen, festgestellt.
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten auch Therapien für Kriegsveteranen, Verwundete oder immobile Menschen und deren Angehörige an sowie für Vertriebene, die vom anhaltenden Krieg betroffen sind. Das Zentrum setzt Therapien wie „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ (EMDR) ein, um den Patient:innen zu helfen, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten und die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) zu lindern.
Viele der Patienten Veteranen und fühlen sich stigmatisiert
„Die Zahl der Patient:innen, die in unserem Zentrum jeden Monat aktiv wegen PTBS behandelt werden, ist von 57 im Januar 2024 auf 118 Ende April 2025 gestiegen“, erklärt Christine Mwongera, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen. „Wir beobachten einen erheblichen Bedarf an psychosozialer Unterstützung, insbesondere bei Männern in der Ukraine. Der Anteil der männlichen Patienten unter den neu aufgenommenen Personen hat zugenommen. Viele von ihnen sind Veteranen - Menschen, die in Konfliktgebieten gelebt und gearbeitet haben und nun vor der Herausforderung stehen, sich an ein relativ sicheres Umfeld anzupassen und soziale Beziehungen wieder aufzubauen. Wir beobachten auch, dass viele Patient:innen eine systematische, langfristige Behandlung benötigen.
Vor allem viele Männer fühlen sich stigmatisiert und zögern, Hilfe zu suchen. Stigmatisierung der psychischen Gesundheit stellt in der Ukraine nach wie vor ein erhebliches Hindernis für die Behandlung dar - insbesondere für Männer - und ist in langjährigen kulturellen und historischen Einstellungen verwurzelt.
Für Angehörige kann es besonders schwierig sein, Menschen zu unterstützen, die versuchen, sich nach ihrer Rückkehr aus einem Kriegsgebiet wieder in ihren Alltag zurückzukehren. Oft glauben Menschen, die an einer PTBS leiden, sie kämen allein und ohne medizinische Hilfe zurecht. Diese oft unsichtbare Krankheit kann die Lebensqualität stark einschränken und zu riskantem Verhalten führen. Der Alltag wird so zu einem Kreislauf aus Trauma, Isolation und körperlicher Erschöpfung, der chronische Gesundheitsstörungen nur verschlimmert.
„Ich saß dem Therapeuten gegenüber, und als er mich fragte, was mich bedrückt, antwortete ich ehrlich: alles, auch er“, sagt der 27-jährige Kriegsveteran Oleksandr Zelenii. Er wurde bei einer Doppelexplosion in der Region Luhansk schwer verletzt und lebt nun mit einem Schädel-Hirn-Trauma, Schlafstörungen, Gedächtnisverlust und PTBS-Symptomen wie Reizbarkeit, mangelndem Antrieb und Schwierigkeiten mit sozialen Kontakten. „Nach Jahren der Rehabilitation und psychologischer Hilfe durch Ärzte ohne Grenzen fühle ich mich ausgeglichener und ruhiger. Ich habe mich sogar um einen neuen Job beworben, bei dem ich als Peer-Unterstützer arbeiten kann - weil ich glaube, dass ich bereit bin, meine Erfahrungen weiterzugeben und Anderen auf ihrem Genesungsweg zu helfen."
Link zu „The invisible scars of war” – Porträts von Patient:innen
ÄRZTE OHNE GRENZEN IN DER UKRAINE
Seit Beginn der großangelegten Invasion in der Ukraine hat Ärzte ohne Grenzen seine Hilfe angepasst, um auf die neuen Herausforderungen des Krieges zu reagieren. Die Schwerpunkte 2025 umfassen einen Rettungsdienst, der schwer verletzte Menschen aus Frontgebieten in sichere Regionen bringt, mobile Kliniken, die medizinische Konsultationen und Medikamente für Menschen in Frontnähe anbieten, frühzeitige Rehabilitation für schwer verletzte Patient:innen in der Region Tscherkassy, Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und psychologische Unterstützung in der Region Winnyzja sowie Medikamentenspenden.
Zusätzlich betreiben die Teams von Ärzte ohne Grenzen mobile Kliniken in Städten und Dörfern der Regionen Cherson, Donezk, Mykolajiw, Dnipropetrowsk und Charkiw. Dort bieten sie eine Grundversorgung, psychosoziale Beratung und Aufklärungsangebote über psychische Gesundheit sowie sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung an.
