Dr. Mohammed* arbeitet in einem therapeutischen Ernährungszentrum in Afghanistan für mangelernährte Kinder. Jeden Tag werden es mehr. Aber auch privat macht ihm die Krise zu schaffen.

Themengebiet:

23.12.2021

Dr. Mohammed* arbeitet in einem Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Lashkar Gah. Hunderte Mütter kommen, teilweise nach langen Reisen, mit ihren mangelernährten Kindern dort an, um medizinisch versorgt zu werden. Hier gibt er einen Einblick in den Alltag des therapeutischen Ernährungszentrums:

Vierhundert

Das ist die Zahl der schwer mangelernährten Kinder, die wir jeden Monat im Boost Hospital in Lashkar Gah, Afghanistan, behandeln.
Jeder dieser kleinen Patient:innen ist unter fünf Jahre alt.

Viele von ihnen leiden, über ihre Mangelernährung hinaus, auch an anderen besorgniserregenden Krankheiten wie Lungenentzündung, Durchfall oder Magen-Darm-Problemen.
 

Inpatient Therapeutic Feeding Centre (ITFC) at Herat Regional Hospital
Sandra Calligaro
Langsam haben wir Sorge, dass uns die Betten ausgehen.

Ich bin Arzt hier bei Ärzte ohne Grenzen und arbeite in einem therapeutischen Ernährungszentrum.

Ich kann Ihnen sagen, dass wir im Moment sehr beschäftigt sind. 
 

Keine Betten mehr

Während des Konflikts und des Regierungswechsels konnten uns viele Menschen nicht erreichen. Es war zu gefährlich und viele Straßen konnten nicht passiert werden. 

Leider war ich persönlich davon betroffen. Meine Mutter wurde während der Kämpfe sehr krank, aber der Weg zum nächsten Krankenhaus war durch die Kämpfe abgeschnitten. 

Erst nach tagelanger Fahrt erreichte sie schließlich ein offenes Krankenhaus in Herat auf der anderen Seite des Landes. Sie starb zehn Tage nach ihrer Erkrankung. Es war eine schreckliche Zeit.

In Lashkar Gah haben wir jetzt, da die Sicherheitslage stabiler ist und die Menschen wieder reisen können, doppelt so viele Patient:innen wie üblich im Ernährungszentrum: Im Mai nahmen wir 250 Kinder auf, aber in letzter Zeit waren es über 500 pro Monat.
 

Unsere größte Sorge ist jetzt, dass uns die Betten ausgehen.

Im Moment kommen auf ein großes Bett zwei Familien - zwei Mütter und zwei Kinder.

Wir bemühen uns, flexibel zu sein, aber wir können nur die schlimmsten Fälle aufnehmen. Das bedeutet, dass die Triage der Patient:innen sehr wichtig ist. Wir stellen sicher, dass diejenigen, die wir nicht aufnehmen können, in anderen Bereichen des Krankenhauses behandelt werden.
 

Inpatient Therapeutic Feeding Centre (ITFC) at Herat Regional Hospital
Sandra Calligaro
Nur Frauen dürfen die Station mit ihren Kindern betreten.

Abgesehen von der Menge der Patient:innen, ist es im Ernährungszentrum ruhig. Obwohl viele Mütter ängstlich sind, sind sie froh, dass sie hier sind und dass ihre Kinder eine hochwertige medizinische Versorgung erhalten.

Die Glücklichen

Das Gesundheitssystem in Helmand ist zusammengebrochen, und die Menschen reisen jetzt aus sehr weit entfernten Bezirken im Norden der Provinz an, um zu uns zu kommen. Diese Fahrten können weit über drei Stunden dauern. Das ist sehr weit, wenn ein Kind sehr krank ist.

Die Menschen, die es bis zu uns schaffen, sind die Glücklichen.

Eine Familie kam aus Musa Qala, das noch im letzten Jahr von den Taliban kontrolliert wurde und von wo aus nur wenige Patient:innen zu uns gekommen sind. Ihre Geschichte hilft, die Krise zu erklären.

Die Familie war sehr arm und hatte Mühe, sich ausreichend zu ernähren, während die junge Mutter schwanger war. Vielen Familien geht es heute genauso - es gibt keine Arbeit und alles auf dem Markt ist sehr teuer. Die Menschen haben auch nur sehr begrenzten Zugang zu Informationen über Gesundheit oder Erziehung, so dass sie manchmal nicht wissen, was sie tun oder wohin sie gehen sollen, wenn ihr Kind schwer krank ist.

Nach der Geburt des Babys wurde die junge Mutter sehr schwach und konnte ihr Kind nicht stillen. Das kleine Mädchen war vom ersten Tag seines Lebens an mangelernährt.

Obwohl wir viele Patient:innen etwa drei Wochen lang behandeln, ist dieses kleine Mädchen nun schon seit drei Monaten bei uns im Ernährungszentrum. Sie ist immer noch schwach, aber wir hoffen, dass es ihr mit unserer Hilfe besser gehen wird.
 

Hoffnung schöpfen

Zurzeit haben viele Menschen in Afghanistan jeden Tag Angst. Aber wir haben ein gutes Leben verdient und wollen in Frieden leben.

In dieser Situation gibt mir meine Arbeit Hoffnung.

Im Boost Hospital arbeiten mehr als 1.300 Personen - es ist eines der größten Projekte von Ärzte ohne Grenzen weltweit. Im Krankenhaus selbst kommen jeden Tag mindestens 700 Patient:innen an. Manchmal sind es sogar 900, und die meisten von ihnen sind Kinder.

Im Ernährungszentrum arbeitet unser Team Tag und Nacht, um die kleinen Patient:innen zu behandeln und ständig therapeutische Nahrungsmittel zuzubereiten, mit denen jedes Kind dreimal am Tag gefüttert wird.

Inpatient Therapeutic Feeding Centre (ITFC) at Herat Regional Hospital
Sandra Calligaro
Ein einmonatiges Frühchen wird behandelt.

Ich arbeite hier seit 2010, als das Krankenhaus zum ersten Mal eröffnet wurde, und ich bin immer noch sehr stolz auf das, was wir jeden Tag tun. Wir arbeiten hart, um sehr armen Menschen zu helfen, die von den Geschehnissen besonders betroffen sind - wie die junge Familie aus Musa Qala.

Wenn Sie dies lesen und schon einmal an Ärzte ohne Grenzen gespendet haben, möchte ich Sie bitten, uns auch weiterhin zu unterstützen. Wir bieten etwas, das für die Menschen hier sonst unerreichbar wäre: lebensrettende medizinische Versorgung, die kostenlos ist.

Als Mediziner:innen kümmert uns die politische Situation nicht, wir sind für unsere Patient:innen da.

* Der Name dieses Mitarbeiters wurde geändert, um seine Identität zu schützen.

Themengebiet: