Jahresbilanz 2017: Rekord-Einsatzzeit von Helfern in Krisengebieten & mehr Hilfe für Rohingya-Flüchtlinge gefordert

23.05.2018
Jahresbericht 2017
Wir präsentierten den Jahresbericht 2017. Im vergangenen Jahr leisteten 156 Einsatzkräfte, die über das Wiener Büro entsandt wurden, 226 Hilfseinsätze in 45 Ländern. Wir fordern mehr Hilfe für Rohingya-Flüchtlinge.
Jahresbilanz 2017: Das team von Ärzte ohne Grenzen Österreich präsentiert den Jahresbericht
Wien, Österreich, 23.5.2018: Das Team von Ärzte ohne Grenzen in Österreich präsentiert den Jahresbericht 2017.

Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) hat heute bei der Präsentation des Jahresberichts 2017 in Wien dazu aufgerufen, die Hilfe für Rohingya-Flüchtlinge auszuweiten. Die Hilfsorganisation warnte vor einer neuen humanitären Krise in den Flüchtlingslagern in Bangladesch, wenn nicht rasch lebensnotwendige Vorbereitungen vor dem nahenden Monsun getroffen werden. Erfreut zeigte sich Geschäftsführer Mario Thaler über die bisher höchste Einsatzzeit von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Krisengebieten im Jahr 2017.

Im vergangenen Jahr  leisteten 156 Einsatzkräfte, die über das Wiener Büro von Ärzte ohne Grenzen entsandt wurden, 226 Hilfseinsätze in 45 Ländern.  „Insgesamt haben unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus unterschiedlichen medizinischen und nichtmedizinischen Fachbereichen Nothilfe im Umfang von 771 Monaten geleistet. Das ist die bisher höchste Einsatzzeit durch Fachkräfte aus Österreich und Zentraleuropa“, berichtet Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Wir freuen uns über das außerordentliche Engagement unserer Einsatzkräfte, sind aber auch besorgt: Dieser Rekord zeigt den wachsenden Bedarf an unserer medizinischen und humanitären Hilfe in Krisengebieten“, so Thaler. Er betont: „Wir suchen dringend weitere Fachkräfte für unsere Hilfseinsätze.“

Ärzte ohne Grenzen fordert mehr Hilfe für Rohingya-Flüchtlinge

Als äußerst besorgniserregend bezeichnet Margaretha Maleh, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen, die Situation von Rohingya-Flüchtlingen in Bangladesch. Dorthin sind seit August 2017 rund 700.000 Menschen vor extremer Gewalt und Übergriffen im Bundesstaat Rakhine im benachbarten Myanmar geflohen. „Die Menschen leben unter erschreckend schlechten Bedingungen. Mit dem nahenden Monsun bahnt sich nun eine weitere humanitäre Notlage an; wir befürchten in den kommenden Wochen und Monaten eine Krise in der Krise“, so Maleh. „Wenn der große Regen kommt, muss davon ausgegangen werden, dass es in den ungünstig gelegenen Flüchtlingslagern nicht nur zu Überschwemmungen und Murenabgängen kommt, sondern auch zu Krankheitsausbrüchen. Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor.“

Ärzte ohne Grenzen hat die Kapazitäten bereits erhöht, um auf eine medizinische Krise  vorbereitet zu sein: Zusätzlich zu den vier Spitälern, drei Gesundheitszentren und zehn Gesundheitsposten der Hilfsorganisation haben die Teams ein weiteres 100-Betten-Spital eröffnet. In den bestehenden Einrichtungen werden die Kapazitäten aufgestockt, um für einen Anstieg der Durchfallerkrankungen und im schlimmsten Fall Cholera vorbereitet zu sein.

Vor Plänen der Regierungen von Bangladesch und Myanmar, die Flüchtlinge zurückzubringen, warnt Maleh: „Die Menschen sind vor unglaublicher Gewalt in Myanmar geflohen, es flüchten immer noch täglich Menschen über die Grenze. Wenn eine Rückkehr wieder möglich ist, darf diese nur freiwillig erfolgen, und nur, wenn die Sicherheit der Menschen garantiert wird.“

Ebola-Ausbruch: Hilfseinsatz angelaufen

Sorge bereitet der Hilfsorganisation der aktuelle Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo. Bis Dienstag wurden 51 Verdachtsfälle gemeldet, bei 28 Patienten und Patientinnen wurde das gefährliche Virus nachgewiesen – darunter bei vier Personen in der Millionenstadt Mbandaka. „Dadurch hat sich das Szenario geändert, bisher war das Virus in der Demokratischen Republik Kongo nur in abgelegenen Gebieten aufgetreten“, sagt Margaretha Maleh. „Es hat jetzt oberste Priorität, die Erkrankten zu behandeln und die Kontakte aller Verdachtsfälle zurückzuverfolgen.“ Wichtig sei, die sechs Säulen jedes Ebola-Einsatzes rasch umzusetzen:

  • Die Behandlung und Isolierung der Erkrankten,
  • die proaktive Suche nach Erkrankten,
  • die Rückverfolgung von Kontakten,
  • die Aufklärung der Bevölkerung,
  • die Unterstützung lokaler Gesundheitseinrichtungen
  • sowie die sichere Beerdigung der Toten.

Margaretha Maleh: „Hinzu kommt der Einsatz eines Ebola-Impfstoffs, diesbezüglich arbeiten wir eng mit den Gesundheitsbehörden und der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammen.“

Seit 5.Mai ist ein kleines Team von Ärzte ohne Grenzen vor Ort, das nun von 24 weiteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unterstützt wird – darunter die erfahrensten Ebola-Spezialisten der Organisation. Ärzte ohne Grenzen hat bereits rund 50 Tonnen Material in das betroffene Gebiet geschickt, es wurden zwei Isolierzentren in den Krankenhäusern von Bikoro und Mbandaka eingerichtet, nun werden zwei Ebola-Behandlungszentren aufgebaut.

Kritik an EU-Unterstützung für Libyen

Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich, thematisierte bei der Jahrespressekonferenz der Hilfsorganisation den mangelnden Schutz für Flüchtende in Libyen. Er kritisierte die europäische Unterstützung für Libyen mit dem Ziel einer Eindämmung von Flucht und Migration nach Europa. „Wir sagen es noch einmal in aller Deutlichkeit: Wer Libyen dabei unterstützt, Menschen abzufangen und in das Bürgerkriegsland zurückzuführen, unterstützt ein kriminelles System der Misshandlung und Ausbeutung“, warnt Thaler. „Unsere Teams werden Zeuge davon, wie die Menschen in Internierungslagern wie Tiere gehalten werden. Vergangenes Jahr gab es einen Aufschrei, als bekannt wurde, dass Flüchtlinge in Libyen wie Sklaven verkauft werden. Was wurde jedoch aus den damaligen Versprechungen europäischer Entscheidungsträger, sich für eine Verbesserung der Situation in Libyen einzusetzen? Stattdessen wird dieses kriminelle System durch EU-Gelder weiter befeuert.“

2017 unterstützte die österreichische Sektion 63 internationale Hilfseinsätze

Über die Hilfe von Ärzte ohne Grenzen in 29 Ländern informiert Ärzte ohne Grenzen im Jahresbericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Darin legt die Organisation dar, welche Projekte im vergangenen Jahr mit Spenden aus Österreich unterstützt wurden: Die österreichische Sektion hat 2017 insgesamt 16,7 Millionen Euro für die medizinische und humanitäre Nothilfe in Krisengebieten ausgegeben, insgesamt wurden 63 Hilfseinsätze mit Spenden aus Österreich unterstützt. Weitere 1,8 Millionen Euro flossen in die Vorbereitung und Unterstützung der Hilfseinsätze. Insgesamt spendeten Privatpersonen und Unternehmen eine Gesamtsumme von über 23 Millionen Euro für die Nothilfe von Ärzte ohne Grenzen.

Mario Thaler: „Wir bedanken uns sehr herzlich bei unseren Spendern und Spenderinnen für ihre wichtige Unterstützung. Gerade in Zeiten, in denen Krisen und Konflikte zunehmen, von politischer Seite das Verständnis für humanitäre Hilfe jedoch abnimmt, ist es ermutigend, dass viele Personen sich privat für Menschen in Not einsetzen. Vielen Dank!“

Download des Jahresberichts 2017