"Was muss noch geschehen, ehe die Politik reagiert?"

22.08.2019
Mittelmeer
Der Zustand der 356 Menschen an Bord der Ocean Viking ist besorgniserregend. Dr. Luca Pigozzi, Arzt an Bord des von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée betriebenen Rettungsschiffes appelliert in einer Stellungnahme an die Politik, Ethik und Menschlichkeit nicht über Bord zu werfen.
MSF team on board Ocean Viking
Anthony Jean/SOS MEDITERRANEE
Luca Pigozzi, Medical Doctor on board the Ocean Viking

Der Zustand der 356 Menschen an Bord der Ocean Viking ist besorgniserregend. Dr. Luca Pigozzi, Arzt an Bord des von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée betriebenen Rettungsschiffes appelliert in einer Stellungnahme an die Politik, Ethik und Menschlichkeit nicht über Bord zu werfen.

"Seit mittlerweile 13 Tagen sitzen 356 schutzbedürftige Menschen an Bord der Ocean Viking fest. Wir müssen zusehen, wie sich ihr Zustand jeden Tag verschlechtert. An Bord sind Menschen mit gesundheitlichen Problemen, die kurzfristig akut werden und eine Evakuierung erfordern könnten.

In diesen nicht ganz zwei Wochen habe ich Opfer sexueller Gewalt kennen gelernt. Ich habe Menschen behandelt, die brutale Schläge, Stromschläge und andere Folterungen – etwa durch geschmolzenes Plastik – sowie kriegsbedingte Verletzungen erlitten haben. Ein Drittel meiner Patientinnen und Patienten sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Sie alle hatten eine alptraumhafte Reise hinter sich, ehe sie gerettet wurden.

Das gemeinsam mit SOS Méditeranée betriebene Schiff Ocean Viking

Ihr psychischer Zustand verschlechtert sich täglich. Die Menschen haben panische Angst davor, nach Libyen zurückgebracht zu werden. Dort haben sie unbeschreiblichen Missbrauch erlebt und mussten mit willkürlichen Verhaftungen rechnen.

Unnötig verlängertes Leiden

Viele haben mehrfach versucht, aus Libyen zu entkommen. Die auch von der EU unterstützte Küstenwache hatte sie jedoch abgefangen und zwangsinterniert. Unter den Menschen an Bord sind Überlebende aus Schiffswracks oder Bombenangriffen. Sie alle verdienen Sicherheit. Als Arzt kann ich ihr unnötig verlängertes Leiden nicht akzeptieren.

Warum werfen Politikerinnen und Politiker Ethik und Menschlichkeit über Bord, indem Menschen im Meer allein gelassen werden, ihrer Würde und ihrer Grundrechte beraubt? Wie viele zusätzlichen Traumata werden die europäischen Staats- und Regierungschefs diesen Menschen aufbürden, ehe es eine menschliche Lösung gibt? Was muss passieren, damit sie reagieren?

Es braucht jetzt eine rasche Intervention. Ich appelliere an die europäischen Staaten, sich der Menschlichkeit zu besinnen und dieser Schande ein Ende zu setzen. Die 356 Personen an Bord verdienen es, an einen sicheren Ort gebracht zu werden.“