20 Jahre Ärzte ohne Grenzen Österreich

21.02.2014
Kleine engagierte Gruppe gründet 1994 österreichische Sektion von Ärzte ohne Grenzen
Die Österreicherin Sabine Kampmüller beim Einsatz in Norduganda.
Soroti, Uganda, 08.09.2003: Die Österreicherin Sabine Kampmüller beim Einsatz in Norduganda. Damals flohen tausende Menschen vor den Übergriffen der Lord's Resistance Army (LRA).

Eine kleine engagierte Gruppe gründete 1994 die österreichische Sektion von Ärzte ohne Grenzen . Heute ist daraus ein professionelles Team geworden, das einen wesentlichen Beitrag zu den internationalen Einsätzen der Organisation leistet.

Als der junge Wiener Arzt Clemens Vlasich 1992 beschloss, bei „ Médecins Sans Frontières “ in Paris für einen Hilfseinsatz anzuheuern, gestaltete sich die Kontaktaufnahme schwierig: Das Internet war damals nur wenigen Eingeweihten zugänglich, Korrespondenzen wurden auf dem Postweg erledigt, und die humanitären Profis an der Seine wussten zunächst nicht so recht, was sie mit einer Anfrage aus Österreich anfangen sollten. Doch Vlasich blieb hartnäckig und war bald auf dem Weg nach Bangladesch, wo er Flüchtlinge aus Myanmar versorgen sollte. 

 

Berichte über Einsatzerfahrungen

 

Die verzweifelte Situation der Rohingya, die sich vor der Verfolgung in Myanmar in die Nachbarländer retteten und dort unter schwierigen Bedingungen zu überleben versuchten, war – und ist bis heute – eine klassische vergessene Katastrophe. International kein Thema, in Österreich schon gar nicht. Vlasich wollte sich damit nicht abfinden: „Mir war es ein Anliegen, über das zu reden, was ich während des Einsatzes gesehen und erlebt hatte; diese Dinge zu thematisieren, über die man in Österreich sonst nichts hört.“

Motiviert von seinem Hilfseinsatz machte sich der Allgemeinmediziner daran, eine österreichische Niederlassung von Ärzte ohne Grenzen zu gründen. Finanzielle Unterstützung fand er bei der Schweizer Einsatzzentrale von Médecins Sans Frontières . Als es im November 1994 so weit war, und das erste Büro in der Wiener Gumpendorferstraße eröffnet wurde, hatte sich die Welt für Ärzte ohne Grenzen gerade dramatisch verändert: Während des Völkermordes in Ruanda waren die Hilfsteams auf schmerzhafte Weise mit den Grenzen humanitären Handelns konfrontiert worden und hatten schließlich eine militärische Intervention gefordert – ein Schritt, der bis heute diskutiert wird: Darf eine humanitäre Organisation militärisches Eingreifen befürworten? Ruanda und der darauffolgende Einsatz in den kongolesischen Flüchtlingslagern sind zum Sinnbild dafür geworden, wie schwer die ethischen Fragen der Hilfe zu beantworten sind.

 

Engagierte Menschen auf Auslandseinsatz

 

Zurück nach Österreich: Die Reaktionen auf die neue Organisation waren durchwegs freundlich. Die ersten Fachleute meldeten sich für Hilfseinsätze. Und die Medien griffen die Geschichten dieser engagierten Personen, die alles zurück lassen, um in abgelegenen Weltgegenden Not zu lindern, gerne auf. Ermutigt durch die Welle der Sympathie verschickte das Team 1995 den ersten Spenden-Aufruf.

Die finanzielle Unabhängigkeit von der Schweizer Sektion war ein erklärtes Ziel, 1996 wurde eine erste Expertin für Spendenwesen eingestellt. Gleichzeitig wurde die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert, nicht nur mit dem Ziel, die Organisation bekannt zu machen, sondern auch, um über die Notlage der Menschen in den Krisengebieten zu berichten.

 

Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis

 

Der Durchbruch kam 1999: Im Kosovo leisteten rund ein Dutzend Mitarbeiter aus Österreich Hilfe, erstmals stellten Krankenhäuser medizinisches Personal für einen Hilfseinsatz frei. Gerade als sich das Team daran machte, den 5. Jahrestag zu begehen, bekam Ärzte ohne Grenzen den Friedensnobelpreis zuerkannt. Mit einem Mal sprach die ganze Welt über die humanitäre Organisation, in Österreich kletterten die Spendeneinnahmen, die Zahl der Freiwilligen und die Bekanntheitswerte nach oben.

Im Jahr 2000 wurde die Unabhängigkeit von der Schweizer Sektion Wirklichkeit. Endlich selbständig geworden, galt es einen Platz im internationalen Netzwerk der Organisation zu finden. Im Laufe der Jahre beschäftige sich das wachsende Team von Ärzte ohne Grenzen Österreich nicht nur mit den drei Kernaufgaben – der Rekrutierung von Einsatzkräften, dem Sammeln von Spenden und der Information über Menschen in Not – sondern entwickelte auch Fachbereiche, um zusätzliche Unterstützung für die Hilfseinsätze zu leisten.

 

Professionalisierung der Hilfe

 

Mit dem Wachstum der internationalen Orga nisation war auch die Professionalisierung der Hilfe notwendig geworden. Das Wiener Büro begann Schulungen aufzubauen und anzubieten. Ab 2004 wurden regelmäßig Einführungskurse für neue Einsatzkräfte abgehalten und bald durch Trainings für Labortechniker und Team-Management-Kurse ergänzt, die auch von internationalen Kollegen und Kolleginnen genutzt werden. Dass die Schulungen zunehmend auch die einheimischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den Einsatzländern erreichen, freut die langjährige Trainings-Beauftragte Sandra Cavaco besonders: „Sie sind oft viele Jahre bei uns beschäftigt – wenn wir sie erreichen, können wir die Qualität der Projekte gang konkret verbessern.“ 

Im internationalen Netzwerk von Ärzte ohne Grenzen ist die österreichische Sektion besonders für die Spezialisierung auf Evaluierungen bekannt. Seit 2004 führt die „Vienna Evaluation Unit“ Evaluierungen von Hilfsprogrammen durch – eine wichtige Maßnahme, um die Qualität der Hilfe sicherzustellen. „Es gibt immer wieder Situationen, in denen man nicht versteht, warum ein Projekt gut oder weniger gut funktioniert“, beschreibt Sabine Kampmüller, die das Evaluierungsteam seit den Anfängen leitet. Die Evaluierungen helfen, die Projekte zu verbessern und rascher aus den Erfahrungen zu lernen.

 

Fachliche Expertise von Ernährung bis Wasser & Hygiene

 

Neben den Evaluierungen und den Schulungen gibt es auch Fachkräfte im Wiener Büro, die mit ihren Kenntnissen die Einsätze direkt unterstützen. So entwickelt die Ernährungsexpertin Anita Sackl Richtlinien für den Kampf gegen Mangelernährung und stellt die Weiterentwicklung und Qualitätssicherung der Ernährungsprojekte sicher. Die Anthropologin Doris Burtscher erstellt Studien zur traditionellen Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit und baut damit eine Brücke des Verständnisses zwischen den internationalen medizinischen Teams und den Patienten.

Zukunftsweisend ist die Arbeit der Programm-Abteilung, die seit 2008 die Einsatzteams in den Bereichen Ernährung, Wasser und Hygiene unterstützt und nach innovativen Lösungen und Anwendungen neuer Technologien sucht. Etwa im Bereich der Analyse von Satellitenbildern. „Diese Technologien erlauben es den Einsatzteams, sich in Krisengebieten rasch ein Bild der Lage zu machen“, erklärt Andreas Papp , der die Abteilung leitet. „Beispiele sind die Ortung von Grundwasservorkommen oder die Analyse von Flüchtlingslagern, die durch die Satellitenbilder extrem erleichtert werden.“

 

8 von 10 ÖsterreicherInnen kennen Ärzte ohne Grenzen

 

In Österreich kennen Ärzte ohne Grenzen heute acht von zehn Menschen, Umfragen zufolge wird der Organisation hohe Sympathie und großes Vertrauen entgegen gebracht. Wenig Anerkennung gibt es dagegen von Seiten der Politik. Anders als in den meisten anderen Staaten bekommt die österreichische Sektion seit vielen Jahren keinerlei Zuwendung von öffentlicher Seite.

Die Prinzipien der humanitären Idee – nämlich unabhängige und unparteiische Hilfe für diejenigen, die sie am dringendsten brauchen – in Österreich zu verbreiten, ist nach vor ein Ziel der österreichischen Sektion. Ein wichtiger Schritt in dieser Hinsicht war der Humanitäre Kongress , der seit 2011 zwei Mal in Wien abgehalten wurde, und auf dem aktuelle und brisante Themen der humanitären Hilfe angeregt diskutiert wurden.

 

Die Stärke der humanitären Idee

 

Das öffentliche Interesse an den Helfern und Helferinnen, die auf Auslandseinsatz gehen, ist auch zwanzig Jahre nach der Gründung groß. Eine Herausforderung bleibt dagegen, die Aufmerksamkeit auf vergessene Krisen zu lenken – sei es der Südsudan, die Demokratische Republik Kongo, oder 22 Jahre nach dem ersten Einsatz von Clemens Vlasich, die Situation der Rohingya in Myanmar. Aber immer wieder aufs Neue finden sich engagierte Menschen, die in diesen Krisengebieten direkt und unbürokratisch Hilfe leisten möchten. Das allein bezeugt die Stärke der humanitären Idee, die mit viel Enthusiasmus und großer Expertise vom Team im Wiener Büro vorangetrieben wird.

So darf damit gerechnet werden, dass auch die kommenden 20 Jahre für Ärzte ohne Grenzen Österreich eine Erfolgsgeschichte werden.

Dieser Text ist im Original in der Jubiläums-Ausgabe des Magazins DIAGNOSE erschienen:  Online lesen oder kostenfrei abonnieren