Traiskirchen-Bericht von Ärzte ohne Grenzen: Österreich muss Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge verbessern

25.08.2015
Detaillierter Bericht dokumentiert unzureichende Versorgung von Flüchtlingen im Erstaufnahmezentrum und bietet konkrete Empfehlungen zur Entschärfung der dortigen humanitären Notlage - mit Download.

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Traiskirchen, 21.08.2015: Ein Blick auf das Gelände der "Bundesbetreuungstelle Ost". Die medizinische und psychosoziale Versorgung der Ankommenden ist derzeit völlig unzureichend und muss dringend ausgeweitet werden. 

Wien, am 25. August 2015 – In einem detaillierten Bericht (PDF) dokumentiert Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) die unzureichende Versorgung von Flüchtlingen im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen und macht konkrete Empfehlungen zur Entschärfung der dortigen humanitären Notlage. Die medizinische Hilfsorganisation hat den Bericht heute dem Innenministerium vorgelegt und hat die Verantwortlichen in einem konstruktiven Gespräch aufgefordert, weitere Verbesserungsmaßnahmen umzusetzen.

Die starke Überbelegung und eine mangelhafte Reaktion seitens der zuständigen Behörden haben dazu geführt, dass sich in den vergangenen Monaten in der Bundesbetreuungsstelle Ost in Traiskirchen eine humanitäre Notlage entwickelt hat. Angesichts der vielen Berichte über die unangemessene Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen hat sich die österreichische Sektion von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) seit Ende Juli beim Innenministerium um Zutritt bemüht, um sich ein objektives Bild der Lage zu machen.

Dringender Handlungsbedarf

Wie sich im Laufe zweier Besuche im Erstaufnahmezentrum am 6. und am 19. August zeigte, besteht dringender Handlungsbedarf. „Die Aufnahmebedingungen verletzen nicht nur die Rechte, sondern auch die Würde von Menschen, die in Österreich Schutz suchen“, sagt Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Die medizinische und psychosoziale Versorgung der Ankommenden ist derzeit völlig unzureichend und muss dringend ausgeweitet werden. Auch die Unterbringung und das Angebot an sanitären Anlagen ist unmittelbar gesundheitsschädigend.“

Bereits nach dem ersten Besuch hat Ärzte ohne Grenzen dem Innenministerium empfohlen, unabhängigen Hilfsorganisationen ungehinderten Zutritt zum Gelände des Zentrums zu gewähren, um dort einen unterstützenden medizinischen Dienst anzubieten. Dieser Forderung wurde mit der Beauftragung zweier externer Ärzte-Teams im Erstaufnahmezentrum teilweise nachgekommen. Ärzte ohne Grenzen begrüßt diese Maßnahme, betont aber, dass dies nur ein erster Schritt sei.

Konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der medizinischen und psychosozialen Versorgung

Im  vorliegenden Bericht fasst Ärzte ohne Grenzen die in Traiskirchen gewonnenen Ergebnisse im Detail zusammen und macht konkrete Empfehlungen, wie die medizinische und psychosoziale Versorgung der Bewohner des Zentrums langfristig verbessert werden kann. Bis entsprechende Maßnahmen in Kraft sind, empfiehlt Ärzte ohne Grenzen dem Innenministerium, der "Initiative medizinische Versorgung in Traiskirchen" die Arbeit innerhalb des Lagers und in Kooperation mit dem ORS-Ärzte-Team zu ermöglichen. Die Initiative ist ein spontaner Zusammenschluss verschiedener Organisationen, Privat-Initiativen und engagierter Ärzte und Ärztinnen, die seit vergangener Woche außerhalb des Lagers in Traiskirchen medizinische Versorgung anbietet.

Die Ergebnisse der Bedarfserhebung von Ärzte ohne Grenzen:

Durchgeführt am 6. und 19. August 2015 vom Ärzte ohne Grenzen Assessment-Team, bestehend aus einem Internisten, einem Allgemeinmediziner und Psychiater, einem Pädiater, einer Psychologin, einer Psychotherapeutin, einer Wasser- und Sanitärexpertin sowie dem Geschäftsführer der österreichischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen

  • Die medizinischen Strukturen sind für eine angemessene Versorgung aller in der Bundesbetreuungstelle Ost untergebrachten Menschen völlig unzureichend.

  • Die von seiten der ORS-ÄrztInnen und Vertretern des Innenministeriums bestätigte Weitergabe personenbezogener medizinischer Daten an das Innenministerium ist mit  medizinischer Ethik und Menschenrechten nicht vereinbar.

  • Schwangere sind teilweise unter inakzeptablen Bedingungen in Zelten untergebracht und insgesamt nicht ausreichend über ihre Möglichkeiten der medizinischen Versorgung informiert.

  • Die medizinische und psychosoziale Betreuung der Kinder ist völlig mangelhaft, die Unterbringung im Freien muss als gesundheitsgefährdend bezeichnet werden.

  • Psychosoziale Betreuung der Menschen ist in der Betreuungsstelle Ost nur in Ansätzen vorhanden und entspricht nicht den zeitgemäßen Standards, die in der Versorgung von Menschen nach traumatischen Ereignissen wie Krieg und Flucht gängig sind.

  • In der Betreuungsstelle Traiskirchen gibt es kein funktionierendes Informationssystem, was zu einer andauernden Verunsicherung der Menschen führt und direkte negative Auswirkungen auf die medizinische Versorgung hat. 

  • Die Unterbringung von Flüchtlingen unter freiem Himmel stellt eine unmittelbare Bedrohung der physischen und psychischen Gesundheit dar, insbesondere weil davon auch Kinder und traumatisierte Personen betroffen sind.

  • Die zahlreichen Mängel im Bereich der Sanitäranlagen verringern die Möglichkeiten der persönlichen Hygiene und stellen ein unmittelbares Gesundheitsrisiko dar.