Gilead-Lizenz verbessert Zugang zu Medikamenten - viele Länder bleiben aber ausgeschlossen

12.07.2011
Ausgeschlossene Länder sollten bereit sein, den Zugang zu benötigten Medikamenten durch Zwangslizenzen sicherzustellen

Genf/Wien, 12. Juli 2011 – Ein heute veröffentlichter Lizenzvertrag zwischen dem Pharmaunternehmen Gilead und dem Medikamenten-Patentpool über die Lizenzierung verschiedener Präparate gegen HIV/Aids könnte den Zugang zu Medikamenten für Patienten verbessern. Doch viele Länder und eine große Zahl von Menschen mit HIV bleiben ausgeschlossen, erklärt die internationale medizinische Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF).

„Dieser Vertrag ist ein Fortschritt gegenüber dem, was andere große Pharmaunternehmen tun, um den Zugang ihrer Patienten zu Aids-Medikamenten zu verbessern, sagt Michelle Childs von der internationalen Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. „Dennoch ist einige Vorsicht angebracht, denn Gilead geht in einigen Schlüsselbereichen nicht über den Status quo hinaus. Um die Vision des Patentpools – eine Lösung für alle Menschen mit HIV darzustellen – erreichen zu können, muss mehr getan werden. Daher sollte diese Lizenz kein Vorbild für zukünftige Verträge werden.“

Positiv zu bewerten ist aus Sicht von Ärzte ohne Grenzen, dass die Lizenz mit Cobicistat und Elvitegravir zwei viel versprechende Medikamente einschließt, die sich gegenwärtig noch in der Entwicklung befinden. Außerdem ist eine in der Entwicklung befindliche Kombinationstherapie eingeschlossen und das zentrale Medikament Tenofovir. Das könnte dazu beitragen, dass neue Behandlungsoptionen in armen Ländern nicht später als in reichen Ländern zur Verfügung stehen.

Die Lizenz erlaubt auch die Entwicklung neuer Kombinationspräparate speziell für Kinder. Die Lizenz ermöglicht als erste ihrer Art explizit die Verwendung bestimmter Schutzmaßnahmen für die öffentliche Gesundheit: Sie erlaubt den Export von Medikamenten in Länder, die aus dem Lizenzvertrag ausgeschlossen wurden, wenn deren Regierungen beschließen, Patente mit Zwangslizenzen außer Kraft zu setzen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, den Vertrag für einzelne Medikamente zu kündigen, wenn die entsprechenden Patente durch Anfechtungsklagen verloren gehen. Darüber hinaus wurde der Vertrag veröffentlichet, ein wichtiger Präzedenzfall für mehr Transparenz.

Auf der negativen Seite schlägt zu Buche, dass das Lizenzabkommen deutlich hinter dem zurückfällt, was benötigt wird, um den kompletten Bedarf für eine umfassende HIV/Aids-Behandlung zu sichern: es verhindert einen preissenkenden Wettbewerb, indem es die Herstellung der Medikamente lediglich in einem Land (Indien) erlaubt und für Produktion der pharmazeutischen Wirkstoffe nur sehr begrenzte Optionen vorsieht. Höchst bedenklich ist die Tatsache, dass viele Menschen in einer Reihe von Ländern mit mittlerem Einkommen ausgeschlossen werden. Diese Regelung steht im krassen Gegensatz zur ersten vom Patentpool verwalteten Lizenz des US-amerikanischen „National Institutes of Health“, die alle ärmeren Länder einbezieht. Wenn freiwillige Maßnahmen wie der Patentpool nicht geeignet sind, den Zugang von Menschen zu dringend benötigten Arzneien sicherzustellen, müssen die ausgeschlossenen Länder offensiv nicht-freiwillige Maßnahmen wie beispielsweise Zwangslizenzen  einsetzen.

Zahlreiche Länder, die von der Gilead-Lizenz ausgeschlossen sind, gehören zu den ersten, in denen Ärzte ohne Grenzen bereits vor zehn Jahren gegen HIV/Aids behandelt hat.

„Wir haben viele Behandlungsprogramme in Südamerika und Asien an die lokalen Behörden übergeben und waren überzeugt, dass diese selbst in der Lage sein würden, die Patienten mit den lebensnotwendigen Medikamenten zu versorgen,“ sagt Tido von Schoen-Angerer, Leiter der internationalen Medikamentenkampagne. „Wenn Menschen in Ländern mit mittlerem Einkommen aus solchen Deals ausgeschlossen werden, bleibt ihren Regierungen nichts anderes übrig als Patentbarrieren mit Zwangslizenzen zu überwinden.“

Die ursprüngliche Idee des Patentpools war es, den Zugang für alle Menschen in armen Ländern zu gewährleisten. Jeder Hersteller, der die nötigen Standards einhalten kann, sollte in der Lage sein, die Lizenz zur Produktion und Verkauf zu nutzen. Aber in diesem Vertrag bleiben Hersteller in Brasilien und Thailand außen vor, obwohl sie in der Lage wären zu produzieren.

Der Vertrag ist eine Überarbeitung der schon seit 2006 existierenden Verträge zwischen Gilead und generischen Herstellern des Schlüsselmedikaments Tenofovir. Das neue Abkommen erlaubt zwar diesen Herstellern auch neue Medikamente von Gilead zu produzieren, doch in Bezug auf die Lieferung der Medikamente in Länder mit Patentbarrieren, wie beispielsweise China, konnten die bestehenden Probleme nicht gelöst werden.

„Unternehmen, die im Moment mit dem Pool in Verhandlungen stehen, sollten Lizenzen zustimmen, die dem Bedarf der Gesundheitssysteme besser Rechnung tragen“ sagt Childs. „Wir erwarten von allen Unternehmen, einschließlich Johnson und Johnson, Abbott und Merck, dass sie ihre Patente in den Pool geben und hoffen gleichzeitig, dass die Länder, die nicht von diesem Lizenzvertrag profitieren, alle Möglichkeiten inklusive Zwangslizenzen ausschöpfen, um den Zugang zu HIV-Medikamenten für ihre Bürger zu verbessern.“

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