Hilfe für Opfer sexueller Gewalt

Ärzte ohne Grenzen leistet medizinische und therapeutische Hilfe
19.05.2014
Ein handgemaltes Schild thematisiert sexuelle Gewalt gegen Frauen im Familienbetreuungszentrum in Tari.
Yann Libessart / MSF
Tari, Papua-Neuguinea, 13.03.2014: "Wir sagen NEIN zu Gewalt gegen Frauen!" - ein handgemaltes Schild im Familienbetreuungszentrum in Tari.

In Papua-Neuguinea im Pazifischen Ozean werden Frauen und Mädchen besonders häufig Opfer sexueller Gewalt. Ärzte ohne Grenzen kümmert sich nicht nur um die körperlichen Folgen, sondern bietet auch therapeutische Hilfe an. Zudem versucht die Hilfsorganisation, das Bewusstsein der Bevölkerung durch Beratungsangebote für die Problematik zu sensibilisieren.

“Meine 10-jährige Tochter hatte sich in den Kopf gesetzt, mir zu folgen, als ich weggegangen war, um eine Freundin im Krankenhaus zu besuchen. Sie entwischte der Obhut meiner Schwester und stieg in einen Bus. Aber sie kam nie an. Stattdessen rief mich die Polizei an: Meine Tochter war von einem Fremden überwältigt und vergewaltigt worden. Ich konnte nicht aufhören zu schreien. Was mein Leben ruiniert hatte, als ich 21 Jahre alt war, geschah nun auch meinem Kind.“

Betty* gehört zu den Patientinnen, die im Familienbetreuungszentrum im Krankenhaus der Hauptstadt Port Moresby Hilfe in Anspruch nehmen. Es handelt sich um die größte Gesundheitseinrichtung in Papua-Neuguinea. Vor zwei Monaten hat Ärzte ohne Grenzen ihrer Tochter die Nothilfe geleistet, die unmittelbar nach einer Vergewaltigung nötig ist. Mutter und Tochter werden nun beide psychologisch betreut, um zwei Vorfälle zu verarbeiten, die fast 15 Jahre auseinanderliegen.

Schnelle Hilfe nach einer Vergewaltigungen notwendig

“Dass Gewaltakte einen Fall für die medizinische Nothilfe darstellen, wird oft nicht wahrgenommen“, sagt Elisabeth Bijtelaar, Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Papua-Neuguinea. „Die Aidsprophylaxe muss innerhalb von 72 Stunden nach der Vergewaltigung verabreicht werden. Unser vordringliches Ziel sind die fünf folgenden Leistungen: Versorgung frischer Wunden und Wundbehandlung, psychologische Nothilfe, Prophylaxe gegen sexuell übertragbare Krankheiten, Impfung gegen Hepatitis B und Tetanus sowie Notfall-Empfängnisverhütung.“

Familiäre und sexuelle Gewalt, vor allem gegen Frauen und Kinder, sind in Papua-Neuguinea sehr verbreitet. Im vergangenen November war Ärzte ohne Grenzen Mitorganisator einer Konferenz, welche zum ersten Mal Vertreter des Staates und von Nichtregierungsorganisationen zusammenbrachte, die in den Bereichen Medizin, Justiz und Opferschutz tätig sind. Ziel der Konferenz war es, ein umfassendes Angebot zu erstellen, das den Opfern von häuslicher und sexueller Gewalt bereitstehen soll. Unter anderem diskutierten die TeilnehmerInnen über das Vorhaben, bestehende Hilfsmöglichkeiten zu verbessern und Beratungszentren für Familien in jenen Provinzen einzurichten, wo es noch keine Betreuungsangebote dieser Art gab. Ärzte ohne Grenzen verpflichtete sich, diesen Prozess mit On-the-Job-Schulungen zu unterstützen und lokale KrankenpflegerInnen weiterzubilden. In den Städten Maprik und Port Moresby sind diese Aktivitäten nun im Gang.

Neue Herausforderung für lokale HelferInnen

2010 beschloss der Leiter des Gesundheitsprogramms Raymond Pohonai, ein Familienbetreuungszentrum im Distriktkrankenhaus in Maprik im Norden des Landes einzurichten. „Es war sehr schwierig. Bevor Ärzte ohne Grenzen uns hier unterstützte, waren die meisten Mitarbeitenden nicht in der Lage, sich der Opfer von Gewalt anzunehmen und ihnen beizustehen.“

Krankenschwester Elizabeth Baga pflichtet ihm bei: „Zuerst habe ich wie mit geschlossenen Augen gearbeitet, ich wusste nicht, was ich mit den PatientInnen tun sollte. Einige Spezialmedikamente standen uns gar nicht zur Verfügung. Inzwischen würde ich uns zutrauen, das Zentrum eigenverantwortlich zu führen, wenn uns die für Gesundheit zuständige Behörde mehr Ressourcen zur Verfügung stellen würde.“

Aufklärung der Bevölkerung über Beratungsangebote

Teams von Ärzte ohne Grenzen besuchen lokale Märkte, um die Bevölkerung über das Beratungsangebot zu informieren. Sie weisen nachdrücklich darauf hin, dass Opfer häuslicher und sexueller Gewalt unbedingt frühzeitig Hilfe aufsuchen sollten. „Gewalt ist in Papua Neuguinea kein neues Problem“, erklärt Marilin Yull, eine der Mitarbeiterinnen, die, direkt zu den Leuten geht - vergleichbar einem Streetworker. „Ich sah, dass meine Tanten und Cousinen damit konfrontiert waren, aber keinen Weg fanden, Hilfe zu bekommen - weder physische noch psychologische. Seit wir die Bevölkerung dafür sensibilisiert haben, wissen die Frauen, dass sie ins Familienbetreuungszentrum gehen sollten.“

Ihr Kollege Dixon Lay fügt hinzu: „In der melanesischen Kultur steht der Mann über der Frau, er kann in jeder Angelegenheit über sie bestimmen. Aber das ändert sich jetzt. Ich selber vertrete eine andere Haltung. Ich will Männern und Jungen ein neues Rollenbild vorleben.“

Rollenbild ändert sich nur langsam

Nerty ist ebenfalls ein Opfer häuslicher Gewalt: „Viele Männer wollen mindestens zwei oder drei Frauen heiraten und sind immer noch der Ansicht, Frauen hätten zu Hause zu bleiben, die Kinder zu betreuen und auf die Schweine aufzupassen. Ich ertappte meinen Mann mit einer anderen Frau. Als ich versuchte, ihn davon abzuhalten, versetzte er mir einen Fußtritt und schlug mir aufs Auge.“

Tessi Soy, Leiterin der Abteilung für Sozialarbeit im Krankenhaus von Port Moresby, ist besorgt: „Was mich wirklich erschreckt, ist das jugendliche Alter der Opfer sexueller Gewalt heutzutage. Mädchen sollten erfahren, dass sie sich aufhalten können, wo immer sie wollen und dass sie überall sicher sind. Auch die Eltern machen emotional eine schlimme Zeit durch, nachdem ihr Kind missbraucht worden ist. Väter wollen oft jemanden töten, also versuchen wir sie zu überzeugen, stattdessen den Rechtsweg zu wählen. Wir brauchen eine deutliche Sensibilisierung zum Schutz unserer Kinder."

Seit 2007 hat Ärzte ohne Grenzen in Papua Neuguinea rund 20.000 Opfer von Gewaltübergriffen behandelt und damit dazu beigetragen, die ernsthaften Folgen  zu mildern , die mit häuslicher und sexueller Gewalt verbunden sind.