Irak/Syrien: Ärzte ohne Grenzen leistet Hilfe für Vertriebene aus Sindschar

Täglich strömen tausende erschöpfte Menschen nach Syrien
13.08.2014
Die erschöpften Vertriebenen im Sindschar-Gebirge werden von Ärzte ohne Grenzen und einer lokalen Organisation mit Trinkwasser und Keksen versorgt.
MSF
Irak, 13.08.2014: Die erschöpften Vertriebenen im Sindschar-Gebirge werden von Ärzte ohne Grenzen und einer lokalen Organisation mit Trinkwasser und Keksen versorgt.

Wien, 13. August 2014. Elf Tage, nachdem Milizen der Gruppierung Islamischer Staat (IS) den Distrikt Sindschar im irakischen Gouvernement Ninawa gestürmt haben, strömen weiterhin täglich tausende erschöpfte Menschen nach Syrien. Sie suchen Zuflucht im nördlichen Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Irak, das als relativ sicher gilt.

Teams der internationalen medizinischen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF), die auf beiden Seiten der Grenze arbeiten, kümmern sich um die dringendsten medizinischen Bedürfnisse der geflohenen Menschen. Sie betreiben mobile Kliniken und errichten Gesundheitsposten in Transitlagern und in Lagern für interne Vertriebene.

200.000 Menschen auf der Flucht

Schätzungen zufolge haben seit dem 3. August etwa 200.000 Menschen die Flucht ergriffen. Bei Temperaturen von 50 Grad und mehr nahmen tausende Menschen einen siebenstündigen Fußmarsch durchs Gebirge auf sich, um Syrien zu erreichen. Anschließend folgte eine holprige Reise an Bord von LKWs, die sie nordwärts zum nächsten Grenzübergang in den Irak brachten. Viele andere aber sitzen im Sindschar-Gebirge fest, aus Angst vor der Gewalt der IS-Truppen, die das Gebiet umstellen.

„Mit der Hilfe von lokalen Hilfsorganisationen konnten wir bis jetzt über 20 Tonnen Nahrungsmittel und 60.000 Liter Trinkwasser an drei Stellen entlang des Grenzübergangs verteilen“, erklärt Gustavo Fernandez, Programmverantwortlicher von Ärzte ohne Grenzen . „Es gelang uns außerdem, zu Menschen vorzudringen, die immer noch im Sindschar-Gebirge ausharren. Nun suchen wir nach Möglichkeiten, um medizinisches Material dorthin zu transportieren.“

Wasserversorgung und medizinische Hilfe

Ärzte ohne Grenzen betreibt außerdem zwei Gesundheitsposten in einem Lager neben der Grenze, in dem sich bereits mehr als 10.000 Personen eingefunden haben. Die Organisation leistet erste Hilfe und verteilt Wasser; Menschen, die weiterführende Behandlungen benötigen, werden in ein örtliches Spital überwiesen, wo ein Team von Ärzte ohne Grenzen chirurgische, geburtshilfliche und kinderärztliche Versorgung anbietet. Dazu sind drei Krankenwagen rund um die Uhr auf Bereitschaft, die verletzte oder schwer kranke Patienten in das Spital transportieren.

Seit dieser jüngsten Massenflucht haben die Teams etwa 1.000 Iraker medizinisch betreut und rehydriert; bei 147 Kriegsverletzten war ein chirurgischer Eingriff nötig.

Flüchtende sind traumatisiert und erschöpft

„Wir beobachten bei diesen Menschen sämtliche Anzeichen maximaler Erschöpfung“, erklärt Fernandez. „Sie sind müde, haben Hunger und Durst. Viele sind traumatisiert und brechen bei ihrer Ankunft im Lager in Tränen aus.“

Seit dem Ausbruch der Gewalt haben mehr als 60.000 Vertriebene Syrien durchquert, um in das irakische Gebiet unter kurdischer Kontrolle, das noch als sicher gilt, zu gelangen. Sie nehmen diese lange und beschwerliche Reise auf sich, um in ihr Land zurückzukehren und sich wieder mit ihren Familien zu vereinen – doch nicht alle erreichen ihr Ziel.

„Mindestens sechs Personen sind in den vergangenen drei Tagen unterwegs an Flüssigkeitsmangel oder Erschöpfung gestorben. Laut Berichten sind viele weitere in den belagerten Gebieten von Sindschar gestorben“, sagt Fernandez. „Die zunehmend prekäre Lage im ganzen Land macht den Zugang zu den Menschen, die in den Konfliktgebieten eingeschlossen sind, unmöglich.“

Schlechte Sicherheitslage erschwert Hilfsaktivitäten

Wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage war Ärzte ohne Grenzen kürzlich gezwungen, die medizinischen Tätigkeiten in Tikrit im Nordosten des Irak zu unterbrechen und konnte die mobilen Kliniken zwischen Erbil und Mosul nicht mehr weiterführen. Um den Vertriebenen trotzdem medizinische Hilfe anzubieten, betreibt die Organisation nun seit kurzem eine mobile Klinik im Lager Baharka, nördlich der Stadt Erbil. Mehr als 1.000 Menschen haben sich dort niedergelassen, und die Zahl steigt ständig.

Schon vor der jüngsten Vertreibungswelle lebten in der kurdischen Region bereits über 350.000 landesintern Vertriebene sowie 230.000 syrische Flüchtlinge. Die Zahl der Vertriebenen im Irak wird auf insgesamt 1,2 Millionen geschätzt, einschließlich der rund 500.000 Menschen, die im Zuge des Konflikts in Anbar vertrieben wurden. Die Mehrheit Letzterer sind immer noch in der Provinz Anbar, wo es ihnen an medizinischer Versorgung und am Nötigsten fehlt. In der Stadt Heet der Provinz Anbar, wo 80.000 Vertriebene Zuflucht gefunden haben, leistet Ärzte ohne Grenzen medizinische Hilfe und unterstützt ein Spital mit Personal.

Trotz des anhaltenden Konflikts im Irak, der die Arbeit der humanitären Organisationen vor Ort stark erschwert, bemüht sich Ärzte ohne Grenzen , den Irakern medizinische Hilfe zu leisten. Die Organisation ist seit 2006 im Land tätig. Sie nimmt dafür keinerlei Mittel von Regierungen, religiösen Institutionen oder internationalen Organisationen an und finanziert ihre Projekte im Irak ausschließlich aus privaten Spenden aus der ganzen Welt. Derzeit sind im Irak über 300 Mitarbeiter im Einsatz.