Südsudan: Bauchschmerzen, gegen die keine Pillen helfen

05.11.2012
Psychosoziale Betreuung traumatisierter Flüchtlinge
Malen gegen die Angst: Flugzeuge kommen am meisten vor
MSF/Christina Jo Larsen
Südsudan, 05.11.2012: Malen gegen die Angst: Flugzeuge kommen am meisten vor

Ein Leben als Flüchtling kann die Psyche derart belasten, dass ein Mensch – oder auch seine gesamte Familie – aus der Bahn geworfen wird. Eine ohnehin schwierige Situation wird dann noch weiter erschwert. In den Lagern für Flüchtlinge, die aus dem Blue Nile State im Sudan nach Maban County im Südsudan geflohen sind, bietet Ärzte ohne Grenzen neben medizinischer Hilfe daher auch psychosoziale Betreuung an.

Ein junges Mädchen, nicht älter als 14 Jahre, beugt sich über ein Blatt Papier. Sie trägt ein altes, abgenutztes Nachthemd und versucht sich auf das zu konzentrieren, was sie zeichnen will. Die Psychologin Julia Stempel schaut ihr zu. Der größte Teil des Blattes wird von einem großen Flugzeug eingenommen.

„Viele Kinder zeichnen Flugzeuge", erzählt Stempel. „Wir bitten die Kinder das zu malen wovor sie Angst haben. Fast alle malen Flugzeuge. Sie erzählen, dass sie wegen der Flugzeuge von zu Hause fliehen mussten." Julia Stempel und ihr Team aus fünf psychosozialen Betreuern und zehn Sozialarbeitern geben den Kindern die Möglichkeit ihre Gefühle auszudrücken.

Die Kinder sollen auch ein zweites Bild von einem sicheren Ort malen. Dadurch wird ihnen vermittelt, dass „die Gefahr jetzt vorbei ist". Das Team unterstützt die Kinder darin, zu verstehen, dass sie keine Angst mehr haben müssen.

Singen, Malen und Rollenspiele – mit diesen Mitteln arbeitet das Team in Doro, um den Flüchtlingen verständlich zu machen, dass „der Geist genauso krank werden kann wie der Körper", erklärt Stempel.

Die Depressionen betreffen die ganze Familie

Viele Flüchtlinge leben in einer chronischen Stresssituation, die sich in psychosomatischen Beschwerden, wie Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen äußert. Das betrifft dann oft nicht nur die Patienten, sondern deren ganze Familie.

„Die Großmutter einer der Familien litt an einer schweren Depression, wollte nicht mehr aufstehen und hatte die Hütte seit drei Monaten nicht mehr verlassen", berichtet Stempel. „Ihr Zustand, die eigenen Erfahrungen der Flucht und die Lebensbedingungen im Lager waren so anstrengend für die Familie, dass eine der Enkelinnen zu sprechen aufhörte, völlig den Appetit verlor und ebenfalls depressive Symptome zeigte. Das Leiden dieser zwei Familienmitglieder verstärkte den Stress in den Familien. In dieser Situation versuchen wir die Menschen zu erreichen und ihnen zu helfen."

Mit Hilfe von Gruppensitzungen und Hausbesuchen sowie mit Einzelkonsultationen versucht das Team so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Zudem unterstützen sie sie dabei, sich selbst und anderen zu helfen.

„Der bisher größte Erfolg ist es, zu sehen, wie die Menschen die Idee von einer psychischen Gesundheit aufnehmen und anfangen sich gegenseitig zu unterstützen", sagt Stempel. „Wenn bei den Gesprächen in den Gruppen, sich die Menschen öffnen und sagen „Mir geht es genauso", ist das der Moment, an dem ich denke „Ja"".

Seit der Eröffnung des psychosozialen Programms im Flüchtlingslager von Doro, haben die Betreuer von Ärzte ohne Grenzen 16.489 Menschen behandelt. Außerdem wurden 180 Patienten in Einzelsitzungen betreut. Im Lager Jamam fanden etwa 300 Einzelsitzungen zur psychologischen Ersthilfe statt und circa 50 individuelle Beratungen pro Monat.

Seit November 2011 versorgt Ärzte ohne Grenzen Flüchtlinge aus dem sudanesischen Blue Nile State, die nach Maban, Upper Nile State im Südsudan kommen. Ärzte ohne Grenzen bietet ärztliche Versorgung in vier Camps: Batil, Doro, Gendrassa und Jamam. Außerdem wird die Wasserversorgung unterstützt, Bohrungen vorgenommen und Handpumpen installiert. Ärzte ohne Grenzen betreibt drei Krankenhäuser und bietet ambulante und stationäre Behandlung für die mehr als 100.000 Menschen, die in den Lagern Zuflucht gesucht haben.