Ukraine: Medizinische Hilfe für Menschen in Konfliktgebiet

22.12.2014
Ärzte ohne Grenzen unterstützt lokale Gesundheitseinrichtungen
MSB14287 Julie Remy web
Julie Remy/MSF
Donetsk, Ukraine, 05.11.2014: Psychologin Helena von Ärzte ohne Grenzen in einer Weiterbildung für Krankenpflegefachkräfte und Ärzte im Svitlodarsk Krankenhaus in der Region Donetsk. Die medizinischen Teams sind seit dem Ausbruch des Konflikts einem enormen Druck ausgesetzt. Viele Angestellte haben seit Sommer keine Gehälter mehr erhalten.

Der anhaltende Konflikt im Osten der Ukraine hat verheerende Auswirkungen auf die Menschen auf beiden Seiten der Frontlinie. Viele haben Nahestehende verloren und mussten zusehen, wie ihre Häuser und Schulen von Bomben zerstört wurden, die öffentliche Gesundheitsversorgung ist kaum mehr funktionsfähig. Ärzte ohne Grenzen unterstützt daher neben Krankenhäusern in Donetsk und Luhansk nun auch lokale Gesundheitseinrichtungen in durch den Konflikt betroffenen Gebieten. 

Der Alltag hat sich mit dem Konflikt dramatisch verändert: Die Menschen leben in Angst vor neuerlichen Gewaltausbrüchen und sind angesichts ihrer Zukunft akutem Stress ausgesetzt. Die enorme Belastung für das Gesundheitssystem erschwert es Ärzten wie Dr. Yuri Orlov, den wachsenden Bedürfnissen gerecht zu werden – vor allem jenen gefährdeter Bevölkerungsgruppen wie älteren, kranken oder behinderten Menschen. Er schüttelt seinen Kopf: “Mein Hauptproblem hier ist Bluthochdruck. Seit vergangenem Jahr stelle ich einen 30-prozentigen Zuwachs der damit in Zusammenhang stehenden Komplikationen fest.“

Banken geschlossen, Pensionszahlungen gestoppt

Viele Menschen schieben einen nötigen Arztbesuch auf, weil sie sich kein Transportmittel oder Medikamente leisten können – Banken sind geschlossen und Pensionsauszahlungen wurden in vielen Gebieten eingestellt. Selbst die grundlegendste Medizin wie Schmerzmittel oder Hustensaft sind für Menschen ohne Bargeld unerreichbar. Speziellere Dinge wie Insulin sind kaum vorrätig.

Seit Mai unterstützt Ärzte ohne Grenzen Krankenhäuser in der Region Donetsk mit medizinischem Material, um tausende Kriegsverletzte zu versorgen. Das Team erweitert nun seine medizinische Hilfe für lokale Gesundheitseinrichtungen in den durch den Konflikt betroffenen Gebieten. So soll Menschen geholfen werden, die keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung mehr haben.

Kein Medikamentennachschub

Das erste dieser ländlichen, öffentlichen Gesundheitszentren ist die „Ambulanz N° 6“ in Novostroika. Das kleine Bergbaudorf befindet sich in den Randbezirken von Shakhtarsk, einem von Rebellen kontrollierten Teil von Donetsk. Es bietet grundlegende Gesundheitsversorgung für rund 7.000 Menschen an, die in fünf benachbarten Dörfern leben – von primärer Versorgung bis zu einer Spitalsüberweisung, wenn nötig. Dieses kleine Zentrum hat seit August von öffentlicher Seite keine Medikamentenlieferungen mehr erhalten, und die Gehälter des medizinischen Personals wurden seit Sommer nicht mehr ausbezahlt.

Der Medikamentennachschub in den Osten des Landes ist entweder unterbrochen oder völlig eingestellt und die Budgets für 2014 wurden von den Einrichtungen schon vor Monaten aufgebraucht. Daher sind viele öffentliche Institutionen wie die Ambulanz N° 6 von der freiwilligen Hilfe lokaler Organisationen abhängig, die Essen zur Verfügung stellen, und von den Teams von Ärzte ohne Grenzen , die medizinisches Material bereitstellen und das Gesundheitspersonal unterstützen.

Medikamenten-Kits für chronisch Kranke

Chronisch Kranke sind besonders betroffen – daher stellt das Team von Ärzte ohne Grenzen den ländlichen Gesundheitszentren eigene Kits zur Verfügung, die neben wichtigem Material auch Medikamente beinhalten zur Behandlung von Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Diabetes und Asthma. Mit diesen Kits kann Dr. Orlov seine Sprechstunden weiterhin regulär durchführen.

Im Juli wurde das Gebiet rund um Novostroika von schweren Kämpfen getroffen und viele Häuser zerstört – die Folgen sind immer noch sichtbar. Viele der Menschen, die in den Dörfern geblieben sind oder nach den Gefechten zurückkehrten, sind nun isoliert und gefährdet. Der Konflikt hat auch desaströse Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft – viele Unternehmen und Minen sind geschlossen und die Menschen damit arbeitslos. Nach dem Entschluss der ukrainischen Regierung, sämtliche staatliche Unterstützung in den von Rebellen kontrollierten Gebieten einzustellen, erhalten ältere Menschen keine Pensionsauszahlungen und Versorgungsleistungen mehr. Bankdienstleistungen wie Bankomaten und Kreditkartenzahlungen sind blockiert.

Unterstützung der medizinischen Einrichtungen

Im Gesundheitszentrum bereitet Dr. Orlov eine Liste der Patienten und Patientinnen vor, die bettlägerig sind und einen Hausbesuch benötigen. Er fährt mit seinem Privatauto, da das Dienstfahrzeug der Ambulanz N° 6 während eines Gefechts durch Granatsplitter beschädigt wurde. Er bezahlt das Benzin aus seiner eigenen Tasche.

„Ärzte und andere medizinische Fachkräfte zeigen ein außerordentliches Engagement – sie führen ihre Arbeit fort, obwohl sie seit Monaten keine Gehälter mehr erhalten haben”, so Dr. Wael Abdurahman Ahmed Ali, Koordinator des medizinischen Hilfsprogramms von Ärzte ohne Grenzen . „Es ist für sie eine enorme Herausforderung. Wir unterstützen daher die medizinischen Teams vor Ort dabei, grundlegende Gesundheitsleistungen für die Menschen in einigen der am schwersten betroffenen Gebiete aufrecht zu erhalten.“

Ärzte ohne Grenzen unterstützt weiterhin Krankenhäuser in Donetsk und Luhansk mit medizinischem Material zur Behandlung von Kriegsverletzten. Seit Mai haben unsere Teams 70 Gesundheitseinrichtungen auf beiden Seiten der Frontlinie versorgt – so können 13.150 Verwundete behandelt werden. Die psychologischen Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten in Einzel- und Gruppensitzungen psychosoziale Betreuung für Menschen an, die vom Konflikt betroffen sind. Sie schulen auch lokale PsychologInnen, SozialarbeiterInnen und medizinische Fachkräfte in den betroffenen Gebieten. In den staatlichen Gefängnissen in Donetsk führt Ärzte ohne Grenzen das seit 2011 bestehende Programm zur Behandlung von medikamentenresistenter Tuberkulose fort.