11.02.2023
Im Interview erzählt Gynäkologin Parnian Parvanta, warum Frauengesundheit in Kriegszeiten zur Nebensache erklärt wird und wie sexualisierte Gewalt als Waffe eingesetzt wird.

Sexualisierte und genderspezifische Gewalt erschüttert das Leben von Millionen von Frauen weltweit. In Europa, wie in anderen Teilen der Welt. Insbesondere in instabilen Umgebungen wie in Kriegs- und Krisenregionen erhöht sich das Risiko für Frauen. 

Parnian Parvanta war als Gynäkologin unter anderem im Irak, in Indien und in Nigeria. Bei der Arbeit vor Ort ist sie häufig Überlebenden von sexualisierter Gewalt begegnet. Im Interview erzählt sie, warum Frauengesundheit in Kriegszeiten zur Nebensache erklärt wird und wie sexualisierte Gewalt als Waffe eingesetzt wird. 

Parnian Parvanta

Sexualisierte Gewalt wird als Waffe im Krieg genutzt. Vermutlich als Versuch der Kriegsparteien sich gegenseitig so zu demoralisieren. 

Parnian Parvanta, Gynäkologin

Sexualisierte Gewalt ist hier in Österreich auch ein großes Thema. Inwiefern unterscheidet sich das Thema in Ländern, in denen du gearbeitet hast?

Es gibt vor allem erstmal Parallelen: Gewalt findet am häufigsten in häuslicher Umgebung statt – durch Menschen, die den Frauen nahestehen. Das sehen wir in unseren Einsätzen weltweit.

Und die Unterschiede?

In Kriegs- und Konfliktgebieten wird sexualisierte Gewalt leider auch als Waffe genutzt. Vermutlich als Versuch der Kriegsparteien sich gegenseitig so zu demoralisieren. Außerdem wird die Verfolgung von sexualisierter Gewalt in Konflikten und Kriegen häufig hintenangestellt. Sie wird im Vergleich zur Gesamtsituation akzeptiert. Betroffene Frauen haben keine oder sehr eingeschränkte Möglichkeiten Hilfe zu suchen. Das ist sicher der größte Unterschied zur Situation in Österreich und stabilen Kontexten.

1 von 3

Frauen

erlebt in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt.

36.800

Patient:innen

haben wir 2021 nach sexualisierter Gewalt weltweit behandelt.

Wie ist das mit der Gesundheitsversorgung für Frauen in Kriegen und Konflikten generell?

Bei Krieg denken viele eher an verwundete Soldaten, an Kriegsverletzungen. Frauengesundheit rückt da in den Hintergrund. Es wird anders priorisiert. In Kriegen und Krisenzeiten werden weniger Vorsorgeuntersuchungen gemacht. Auch schwangere Frauen gehen weniger wahrscheinlich zur Schwangerschaftsvorsorge. Einerseits liegt das an den fehlenden Angeboten. Anderseits werden andere Themen als wichtiger wahrgenommen. Für die Gesundheit der Frauen hat das oft fatale Folgen.

Wie hilft Ärzte ohne Grenzen Frauen in Kriegs- und Konfliktgebieten?

Wir arbeiten in Kriegs- und Konfliktgebieten, wenn lokale Gesundheitssysteme den medizinischen Bedarf nicht decken können. Frauen sind davon oft besonders betroffen, weil ihre Gesundheitsversorgung eben nicht als Priorität gesehen wird.

Parnian Parvanta

Man ist nicht schwach, weil man sich Hilfe sucht.

Parnian Parvanta, Gynäkologin

In unseren Kliniken haben wir Gesundheitsprogramme speziell für Frauen. Dazu gehören Vorsorgeuntersuchungen und Geburtshilfe – aber auch psychologische, sowie physische Betreuung von Frauen nach sexualisierter Gewalt. Dabei spielt auch die Aufklärung eine wichtige Rolle. Vielen Frauen sind ihre Rechte und Möglichkeiten gar nicht bewusst.

Was würdest du Frauen raten, die Gewalt ausgesetzt sind?

Ich würde jedem Menschen, der Gewalt erlebt oder erlebt hat, raten, sich mitzuteilen. Man ist damit nicht alleine. Wichtig ist es, eine Vertrauensperson zu finden und gemeinsam zu überlegen, wie man weiter damit umgehen kann. Man ist nicht schwach, weil man sich Hilfe sucht. Im Gegenteil, es ist ein Zeichen von Stärke etwas zu tun. 

Parnian Parvanta
MSF

Zur Person

2011 war Parnian Parvanta das erste Mal mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz in der Zentralafrikanische Republik. Seitdem war sie unter anderem in Indien, Irak, Elfenbeinküste und Nigeria. Im Mai 2019 wurde sie erstmals in den Vorstand der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen gewählt und ist seit Juni 2021 stellvertretende Vorstandsvorsitzende. 

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