“Wir brauchen gutes Wasser“

17.08.2010
Mehr als zwei Wochen nach den verheerenden Überschwemmungen in weiten Teilen Pakistans warten viele Menschen noch immer auf Hilfe.

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Pakistan 2010
Ton Koene
Pakistan, 07.08.2010: Sauberes Trinkwasser ist wichtig, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.

Der Himmel an diesem Morgen in Nasirabad, einem Stadtteil von Peshawar, lässt vermuten, dass es wieder regnen wird. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen verteilen hier Hilfsgüter an die Flutopfer. Mehr als zwei Wochen nach den verheerenden Überschwemmungen in weiten Teilen Pakistans warten viele Menschen noch immer auf Hilfe.

Ein fünfjähriger Junge zupft ungeduldig an dem langen Kleid seiner Mutter Farida. "Er fragt mich, warum wir nicht nach Hause gehen können", erzählt sie. "Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll. Also erzähle ich ihm einfach, dass wir an einen neuen Ort gehen."

Die Wassermassen, die Pakistan überschwemmt haben, zwangen die Menschen, ihre Häuser in solcher Eile zu verlassen, dass sie kaum etwas retten konnten. Manche haben Familienmitglieder verloren. "Das Wasser kam nachts in unser Haus. Wir schwammen so schnell es ging hinaus. Meinen kleinen Sohn trug ich auf den Schultern. Doch eine meiner Töchter hat es nicht geschafft, sie hat zu viel Wasser eingeatmet. Die Flut hat mir alles genommen", sagt Nizam Ali, und packt sich ein Zelt, Kochutensilien und Hygieneartikel auf die Schultern.

Die Nothilfe-Pakete, die Ärzte ohne Grenzen verteilt, enthalten alles, was die Menschen am dringendsten brauchen: Kleidung, Seife, Zahnbürsten, Handtücher, Wasserbehälter, Kanister, Plastikplanen, Matratzen und Tabletten zur Wasserdesinfektion. Bislang haben die Teams Nothilfe-Pakete an mehr als 8.000 Familien in den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan verteilt. Die Ärzte ohne Grenzen-Mitarbeiter erklären den Menschen, wie sie die Zelte aufbauen können, wie sie sich vor Gesundheitsrisiken schützen können und wie sie die Tabletten anwenden müssen, damit das Wasser desinfiziert ist. Jedes Nothilfe-Paket enthält 20 dieser Tabletten - das bedeutet sauberes Trinkwasser für eine siebenköpfige Familie für zwei Wochen.

 

Die Gefahr von Durchfallerkrankungen wächst

 

"Seit zwei Wochen schläft meine Familie nun schon unter freiem Himmel. Ich bin froh, dass ich endlich eine Plastikplane habe, unter die wir uns legen können. Immer wieder gehe ich zurück zu dem, was von unserem Zuhause noch übrig ist. Ich mache sauber und hoffe, etwas Brauchbares zu finden. Doch es fällt immer noch neuer Regen", erzählt Nizam Ali weiter.

Millionen Menschen sind nach der Flutkatastrophe ohne Trinkwasser, Nahrungsmittel, Unterkunft oder medizinische Versorgung. Die Gefahr von Durchfallerkrankungen wie Cholera, die in einigen Regionen des Landes wie zum Beispiel in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa ohnehin regelmäßig auftritt, wächst. Doch Hilfe kommt immer noch nicht schnell genug bei den Menschen an, vor allem sauberes Trinkwasser. Die Menschen werden dabei nicht nur durch internationale Hilfe versorgt. Vor allem die betroffenen Gemeinden selbst sowie lokale Organisationen haben gleich nach der Überschwemmung geholfen. Aber es wird noch viel mehr Hilfe benötigt.

Auch zwei Wochen, nachdem der heftige Regen begonnen hat, begegnen die Teams von Ärzte ohne Grenzen einer Vielzahl logistischer Herausforderungen. Im Swat-Distrikt hat das Wasser 16 Brücken zerstört - hier müssen die Teams von Ärzte ohne Grenzen neue Wege finden, um die Hilfsgüter mit Booten und auch Pferden zu transportieren. In Belutschistan versuchen die Teams in der Provinzhauptstadt Quetta alles, um für die mobilen Kliniken ausreichend Benzin und das benötigte medizinische Material zu organisieren.

 

Sicherer Ort für die Verteilung wichtig

 

Bei der Verteilung der Nothilfe-Pakete geht es vor allem darum, einen sicheren Ort dafür zu finden. "Wir konnten nicht einen einzigen Platz in Jala Bela finden, der von den Wassermassen verschont geblieben ist. Darum konnten wir die Hilfsgüter nicht direkt in dem Dorf verteilen", erklärt Waqar Ahmad, stellvertretender Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Pakistan. Er arbeitet seit 2005 für die Organisation. "Zum dritten Mal verteilen wir die Hilfsgüter nun im Hof dieses Hauses in Nasirabad. Der Besitzer war so großzügig, uns sein Privatgrundstück zur Verfügung zu stellen, um den Menschen aus den nahegelegenen Dörfern zu helfen. Wir versuchen so gut es geht, den Menschen zu helfen. Aber vor allem helfen sie sich gegenseitig."

Es ist unerlässlich, die Gemeinden in die Verteilung der Hilfsgüter einzubinden, damit diese auch wirklich die Bedürftigsten erreichen. Treffen mit den Ältesten und den Imamen helfen uns herauszufinden, welche Familien die Hilfe am nötigsten haben und was am dringendsten gebraucht wird. Zeit und Ort einer Verteilung werden von den Minaretten der Moscheen und mit Hilfe von Megaphonen ausgerufen. So können wir sicher sein, dass die Menschen wissen, wohin sie gehen müssen.

"Jede Verteilung läuft ein bisschen besser als die davor; die Menschen stehen geduldig an, bis sie aufgerufen werden. Heute planen wir, Hilfsgüter an 585 Familien zu verteilen, aber vielleicht schaffen wir sogar mehr und können auch Menschen helfen, die nicht registriert sind. Genug Nothilfe-Pakete haben wir", sagt Waqar.

 

"Gutes und schlechtes Wasser"

 

Zwei Stunden nach dem Beginn der Verteilung steht Farida mit ihrem fünfjährigen Sohn noch immer geduldig in der Schlange. Für die Menschen in Pakistan ist Geduld derzeit nicht nur eine Tugend, sondern nach dem, was ihnen passiert ist, überlebenswichtig. "Es gibt gutes und schlechtes Wasser", sagt Farida. "Jetzt brauchen wir das gute Wasser, das, was uns nicht krank macht. Das schlechte Wasser hat uns alles genommen. Ich werde nicht mit leeren Händen zurückgehen, auch wenn ich den ganzen Tag warten muss."

Zusätzlich zur Ausweitung der medizinischen Aktivitäten konzentriert sich Ärzte ohne Grenzen darauf, betroffene Familien mit Gegenständen des täglichen Bedarfs und sauberem Trinkwasser zu versorgen, um deren Lebensbedingungen zumindest auf einen Minimal-Standard anzuheben und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.