Es wird scho glei dumpa...

Kommentar von Raimund Alber
20.12.2016
Es sollte Weihnachten sein. Genau genommen ist es das ja auch. Es fühlt sich nur nicht so an... Vom Dach unseres Hauses können wir in nur 11 Km Entfernung die Hügel mit der Grenzlinie zu Syrien sehen.

Unser Psychologe Raimund Alber ist momentan das erste Mal im Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen in einem Krankenhaus in Jordanien. Er berichtet im Einsatzblog über die letzten Tage vor Weihnachten angesichts der dramatischen Lage in Syrien, die sich nur wenige Kilometer entfernt abspielt:

Raimund Alber/MSF

Die letzten Sonnenstrahlen verabschieden sich und der Mond, größer als je zuvor, schiebt sich langsam und beobachtend über unsere Köpfe. Wir spüren den kalten Wind bis auf die Knochen. In den vergangen Tagen hat es stark geregnet. Das karge Land ist das viele Wasser nicht gewohnt. Die Straßen sind stellenweise überflutet, trockene Erde und Sand verwandeln sich in zähen Schlamm.

Es sollte Weihnachten sein. Genau genommen ist es das ja auch. Es fühlt sich nur nicht so an. Das Fest des Friedens, der Liebe und des Geldausgebens. Dieses Jahr tu ich mir besonders schwer in die eigenartige "Jingle-Bells-Stimmung" zu kommen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich nicht bei meiner Familie bin, keinen Lebkuchen rieche, keinen Glühwein trinken kann, noch kein einziges Mal "Last Christmas" im Radio gehört habe, oder keine stressigen Weihnachtseinkäufe machen muss. Dabei befinde ich mich quasi im Epizentrum des Christentums. Bethlehem ist da links drüben, nur ein Katzensprung, inklusive Landesgrenze und Militärposten, von mir entfernt. Da soll es ja passiert sein, das mit der Geburt von dem, den wir so im Überfluss feiern.

Unser Blick schweift jedoch in die entgegengesetzte Richtung - nach Nordost. Vom Dach unseres Hauses können wir in nur 11 Km Entfernung die Hügel mit der Grenzlinie zu Syrien sehen. Aber nur bis dorthin. Keinen Meter weiter. Denn die Grenze ist dicht. Seit Monaten. Und dahinter warten Tausende, endlich der Gewalt und dem Elend entfliehen zu können. Unsere Antennen sind unsere syrischen Patienten in den Kliniken, die nach wie vor Kontakt mit Familie und Freunden im erschütterten Nachbarland haben. Selten gute Nachrichten.

Weihnachten. Wie absurd dies hier scheint. Nur 40 Km Richtung Osten liegt das Zaatari Flüchtlingslager mit knapp 80.000 Syrern (unfreiwilligen Bewohnern). Und die täglich neuen Schreckensbotschaften aus Aleppo lassen uns verstummen. Verstummt sind zum Glück momentan auch die Gewehre im Grenzgebiet. Wenigstens gestern war wieder eine "Stille Nacht".

In all dem Unverständnis suchen wir nach einem Stück Normalität. Einem Stück Zuhause. Ob mit englischem Earl-Grey-Tee, spanischer Turron (Nougat-Schokolade) oder mit Tiroler Schinkenspeck. Jeder „Expat“ (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland) auf seine Weise. Was ich mir heuer zu Weihnachten wünsche? Durchhaltevermögen, erholsame Nächte, weiterhin so großartige Kollegen und einen Duschvorhang.

Doch noch viel mehr als das, wünschen wir uns die Öffnung der Grenzen, insbesondere für Kriegsverletzte. Last uns denen helfen, die es am bittersten nötig haben. Wir sind bereit. Wir sind da.

Danke an alle zu Hause, für die finanzielle und moralische Unterstützung. Ihr stärkt uns den Rücken.

Frohe Weihnachten und ein friedliches, gesundes Jahr 2017

Raimund
Ar Ramtha, Jordanien

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21.12.2016
09:03
Beate Kreuzberger

Danke Ihnen und ihren Kollegen/innen , sie bringen Menschlichkeit in Krisengebiete in denen ich mich nicht hintrage. Danke dafür. Sie alle verkörpern Weihnachten, das alleine zählt, das andere sind angenehme Dinge die unser Leben auch auf die eine oder andere Art unser Keben auch bereichern, aber nicht notwendig sind. Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes, friedliches Weihnachten und kommen die alle gesund wieder

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