12.12.2022
Acht Jahre nach Beginn des Konflikts wirkt sich der Krieg im Jemen auf alle Bereiche des Lebens der Menschen aus. Dr. Matt Cloutier berichtet aus der Notaufnahme in Ad Dahi, Jemen.

Es war meine erste Woche als Notarzt in einem ländlichen Krankenhaus im Dorf Ad Dahi im Nordwesten Jemens. Unser Krankenhaus ist klein, aber im näheren Umfeld das einzige, das kostenlose medizinische Versorgung anbietet. In unserer Notaufnahme werden in der Regel alle 24 Stunden 70 bis 100 Patient:innen behandelt und unsere 46 pädiatrischen Betten auf der Intensivstation sind fast immer voll belegt.  

Ad Dahi rural hospital, Hodeidah, Yemen

Fast alle der häufigsten Krankheits- und Todesursachen bei Kindern stehen hier mit dem anhaltenden Krieg in Verbindung. 

Matt Cloutier, Notarzt

Mangelernährung

Etwa 50 % unserer Patient:innen im Krankenhaus sind Kinder und ihre Krankheitsbilder können sehr unterschiedlich sein: von bakteriellen Infektionen, Krämpfen, Traumata, Komplikationen der Sichelzellenanämie, Dengue-Fieber bis zu Malaria. Eines der schwierigsten und kompliziertesten Probleme ist jedoch die schwere akute Mangelernährung.  

Die Eltern, die wir in der Notaufnahme sehen, sind oft abgemagert und ihre Babys ausgemergelt. Die Mütter haben in vielen Fällen keine Muttermilch, mit der sie ihre Babys füttern können, weil sie selbst mangelernährt sind, also verabreichen sie ihnen Zuckerwasser oder Ziegenmilch. Diese enthalten aber nicht die richtigen Nährstoffe für das Wachstum der Säuglinge und können – wenn das Wasser verunreinigt ist – sogar Krankheiten verursachen.   

Viele der Babys sind acht bis zwölf Monate alt, sehen aber wie Frühgeborene aus und wiegen nur ein paar Kilogramm. Bei jedem Atemzug sind ihre Rippen zu sehen. 

Behandlung 

Die Familien versuchen immer alles, was in ihrer Macht steht, um ihren Kindern zu helfen. Aber die traurige Wahrheit ist, dass fast alles in Ordnung wäre, wenn sie sich dauerhaft ausreichend nahrhaftes Essen leisten könnten. 

Ad Dahi rural hospital, Hodeidah, Yemen
MSF/Majd Aljunaid
Wartebereich des Behandlungszentrums in Ad Dahi

Die Familien sind sehr bemüht, unsere Empfehlungen zu befolgen. Im Krankenhaus selbst sind unsere Möglichkeiten allerdings begrenzt: Wir nehmen die Kinder auf, verabreichen Flüssigkeit, Antibiotika und spezielle therapeutische Milch.

Der Krieg 

Fast alle der häufigsten Krankheits- und Todesursachen bei Kindern stehen hier mit dem anhaltenden Krieg in Verbindung.  

Die Wirtschaft wurde durch den Konflikt lahmgelegt, was bedeutet, dass Lebensmittel und Treibstoff für viele unerschwinglich sind. Zudem nimmt auch die Anzahl der Krankheiten aufgrund der schlecht gewarteten Infrastruktur, die zu verunreinigtem Wasser und Lebensmitteln führt, zu.  

Es gibt hier sowohl öffentliche als auch private Krankenhäuser mit gut ausgebildetem Personal, die aber derzeit überfüllt und weitgehend unterfinanziert sind. 

Ad Dahi rural hospital, Hodeidah, Yemen
MSF/Majd Aljunaid
Dr. Matt Cloutier und das Behandlungsteam untersuchen die Verletzung von Hassan

In unserer Notaufnahme sehen wir, dass Krankheiten, die normalerweise durch Impfprogramme verhindert werden könnten, wieder auftreten. Geburtskomplikationen könnten mit vorgeburtlichen Untersuchungen oder Mutterschaftsvorsorge vermieden werden. Sehr oft sterben Patient:innen an Krankheiten, die sie in einem anderen Umfeld überlebt hätten. 

Dazu kommen teils schwere Verletzungen aus Verkehrsunfällen, die auf die kaum mehr gewartete Straßen-Infrastruktur zurückzuführen sind. 

Das ist die Realität: Die Krise ist eine humanitäre Katastrophe, die sich im Schatten des Krieges entfaltet. Die Menschen hier sind großzügig, freundlich und fleißig. Dieser Ort würde aufblühen, wenn die Folgen dieses Konflikts beseitigt würden. 

Matt Cloutier, Notarzt

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