Haltlose Angriffe auf Rettungshilfe im Mittelmeer durch italienische Behörden

Wegen angeblicher Fehler bei der Entsorgung von Bordabfällen haben die italienischen Justizbehörden beantragt, das Rettungsschiff „Aquarius“ zu beschlagnahmen. Ärzte ohne Grenzen veurteilt diese Entscheidung aufs Schärfste.
20.11.2018
Valencia, 19.06.2018: Das Rettungsschiff "Aquarius" im Hafen von Valencia.

Wegen angeblicher Fehler bei der Entsorgung von Bordabfällen haben die italienischen Justizbehörden beantragt, das von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) betriebene Rettungsschiff „Aquarius“ zu beschlagnahmen. Ärzte ohne Grenzen verurteilt diese Entscheidung aufs Schärfste. Es handelt sich um eine unverhältnismäßige und unbegründete Maßnahme, die lediglich dazu dienen soll, lebensrettende humanitäre Hilfe auf See weiter zu kriminalisieren.

„Nach zwei Jahren voller diffamierender und unbegründeter Anschuldigungen, nach juristischen Ermittlungen und bürokratischen Hürden für unsere humanitäre Arbeit werden wir nun des organisierten illegalen Handels mit Abfällen beschuldigt. Dieser jüngste Versuch der italienischen Behörden, die lebensrettenden humanitären Such- und Rettungsarbeiten um jeden Preis einzustellen, ist schlicht böswillig", sagt Karline Kleijer, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen.

Die Aufforderung, die „Aquarius“ zu beschlagnahmen, und die Anordnung, einige der Bankkonten von Ärzte ohne Grenzen einzufrieren, folgt einer langfristigen Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft in Catania – insbesondere der Entsorgung von Lebensmittelresten, Kleidung von Geretteten und Abfällen, die bei medizinischen Behandlungen anfallen. Bei allen Aktivitäten im Hafen, inklusive der Müllbeseitigung, wurden von den Rettungsschiffen von Ärzte ohne Grenzen immer die Standardprozeduren eingehalten. Die zuständigen Behörden haben diese Prozeduren seit Aufnahme der Such- und Rettungsaktivitäten von Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2015 weder in Frage gestellt noch eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit festgestellt.

Ärzte ohne Grenzen kooperiert jederzeit mit den italienischen Behörden. Die Auslegung der Ereignisse durch die Staatsanwaltschaft hinterfragt die Organisation jedoch und weist die Vorwürfe zurück, sie sei an illegaler Abfallentsorgung beteiligt. Nach einer Einschätzung des Erlasses und einer internen Überprüfung, nach der die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft inakkurat und irreführend erscheinen, hat Ärzte ohne Grenzen entschieden, eine Beschwerde einzureichen. 

„Dieses Klima wiederholter Angriffe und haltloser Anschuldigungen hat zu den wahren Verbrechen geführt"

„Wir sind mehr als bereit, den Sachverhalt klarzustellen und für die operationellen Verfahren, die wir eingehalten haben, Rechenschaft abzulegen, wir bekräftigen aber die Legitimität und die Rechtmäßigkeit unserer humanitären Arbeit“, erklärt Gabriele Eminente, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Italien. „Dieses Klima wiederholter Angriffe und haltloser Anschuldigungen hat zu den wahren Verbrechen geführt, die wir heute auf hoher See erleben: Allein in diesem Jahr sind über 2.000 Menschen im Mittelmeer gestorben, während andere weiterhin die gefährliche Fahrt auf sich nehmen – obwohl es keine Rettungsschiffe gibt, um das Leben der Flüchtenden zu retten. Jene, die überleben, werden derzeit in unmenschliche Internierungslager in Libyen geschickt – völlig ungeachtet des internationalen See- und Flüchtlingsrechts.“

Karline Kleijer: „Eine seit zwei Jahren andauernde Hetzkampagne gegen Such- und Rettungsmaßnamen, grundlose öffentliche Vorwürfe wegen angeblicher krimineller Aktivitäten und die Schließung von sicheren Häfen verhindern humanitäre Hilfe und halten alle Schiffe von der Rettung in Seenot geratener Boote am Mittelmeer ab. Das Ergebnis ist ein Anstieg menschlichen Leidens, da die von der EU finanzierte libysche Küstenwache immer mehr Überlebende aus internationalen Gewässern zurückbringt in das Bürgerkriegsland, wo sie entgegen dem Völkerrecht willkürlich inhaftiert werden.“

Ärzte ohne Grenzen hat mit fünf humanitären Such- und Rettungsschiffen innerhalb von drei Jahren am Mittelmeer über 80.000 Menschen gerettet, in Zusammenarbeit mit den Leitstellen zur Koordination der Seenotrettung und in voller Übereinstimmung mit nationalen und internationalen Gesetzen. Jetzt liegt die „Aquarius“ in Marseille vor Anker, nachdem die Registrierung der Flagge aufgrund politischen Drucks zwei Mal in zwei Monaten entzogen wurde.