Jahresbericht 2015: Ärzte ohne Grenzen warnt vor humanitären Folgen der österreichischen Asylpolitik

Verantwortung für Schutzsuchende darf nicht an andere Länder abgeschoben werden. 2015 flossen 18 Millionen Euro aus österreichischen Spenden direkt in unsere Hilfsprogramme, 163 Einsatzkräfte wurden über das Wiener Büro entsandt.
18.05.2016
Wien, Österreich, 19.5.2016: Mario Thaler, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Österreich, mit dem druckfrischen Jahresbericht 2015.

Die Verantwortung für Schutzsuchende darf nicht an andere Länder abgeschoben werden – das forderte die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, Margaretha Maleh, bei der Präsentation des Jahresberichts. Im Jahr 2015 flossen über 18 Millionen Euro aus österreichischen Spenden direkt in Hilfsprogramme von Ärzte ohne Grenzen, 163 Einsatzkräfte wurden über das Wiener Büro entsandt.

Wien, am 19. Mai 2016 – Bei der Präsentation des Jahresberichts 2015 hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) die österreichische Regierung für ihren Umgang mit Flüchtlingen kritisiert.  Besonders besorgt zeigte sich Margaretha Maleh, die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, angesichts der beschlossenen Verschärfung des Asylgesetzes. „Bereits die Einführung der Asyl-Obergrenze durch Österreich und die folgende Kettenreaktion der Grenzschließungen haben gezeigt, dass solche Entscheidungen sehr konkrete humanitäre Folgen für Flüchtlinge haben“, sagt Maleh. „Die österreichische Zivilgesellschaft hat im vergangenen Jahr einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Flüchtlingen geleistet. Es ist nicht akzeptabel, dass nun die Politik einen ‚Notstand‘ ankündigt, um Grenzen zu schließen und Flüchtlinge abweisen zu können. Das ist ein Schlag ins Gesicht für Männer, Frauen und Kinder, die sich ohnehin in einer Notlage befinden.“ Sie appelliere deshalb an den neuen Bundeskanzler Christian Kern, die unter seinem Vorgänger angekündigte Verschärfung des Asylrechts zu überdenken, so Maleh weiter.

EU-Türkei Abkommen kritisiert

Scharfe Kritik äußert Ärzte ohne Grenzen auch am EU-Abkommen mit der Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen. Maleh: „Statt an echten Lösungen zu arbeiten und zu überlegen, wie man verzweifelten Menschen helfen kann, konzentriert sich die Politik derzeit darauf, die Verantwortung Europas anderen Ländern zuzuschieben. Hier muss klar gesagt werden: Das Abkommen verstößt gegen die Verpflichtung der Europäischen Union, Flüchtlingen Schutz zu bieten.“

Erstmals Einsätze in Österreich notwendig

Die Hilfe für Flüchtlinge und Migranten in Europa bildete im Jahr 2015 einen wichtigen Schwerpunkt für Ärzte ohne Grenzen. Insgesamt waren 535 Mitarbeiter entlang der Fluchtrouten im Einsatz; bis Jahresende führten sie über 100.000 medizinische Behandlungen durch. Beim Rettungseinsatz der Organisation im Mittelmeer wurden bis Jahresende mehr als 20.000 Menschen gerettet. Erstmals wurde auch ein kleines Team von Ärzte ohne Grenzen in Österreich tätig, das die medizinische Versorgung von Flüchtenden an den Grenzübergängen unterstützte.

Vermehrt Angriffe auf medizinische Einrichtungen

Zunehmend schwierig gestaltet sich die Arbeit in Kriegsgebieten, wo die Zunahme von Angriffen auf medizinische Einrichtungen große Sorge bereitet. „Auch hier stellen wir eine alarmierende Aushöhlung der Genfer Konventionen fest, die eigentlich den Schutz medizinischer Einrichtungen vorsehen“, sagt Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich. So werden in Syrien, im Jemen und Afghanistan regelmäßig Krankenhäuser angegriffen – mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Weltweit dokumentierte die Hilfsorganisation im vergangenen Jahr 106 Luft- und Artillerieangriffe auf 75 Krankenhäuser, die entweder von Ärzte ohne Grenzen betrieben oder unterstützt werden. Dazu gehörte auch ein tödlicher Angriff auf das Trauma-Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in der afghanischen Stadt Kundus, bei dem im Oktober mindestens 42 Menschen starben. Thaler: „Unsere Botschaft an alle Konfliktparteien ist sehr klar: Hören Sie auf, Krankenhäuser zu bombardieren! Zerren Sie unsere Patienten und unser Personal nicht auf das Schlachtfeld.“

Chronische und wenig beachtete Krisen

Im Jahresbericht informiert Ärzte ohne Grenzen über die Hilfsprogramme, die im vergangenen Jahr mit Spenden aus Österreich unterstützt wurden. Neben der Flüchtlingshilfe in Syriens Nachbarländern bildete 2015 auch die Hilfe in wenig beachteten Krisengebieten einen wichtigen Schwerpunkt. Dazu gehören die Hilfsprogramme in der Region rund um den Tschadsee, wo mehr als 2,5 Millionen Menschen vor Übergriffen der bewaffneten Gruppe Boko Haram geflohen sind. Auch die umfangreiche Nothilfe für hunderttausende Menschen im Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik, die unter Gewalt und chronischen Krisen leiden, wurden fortgesetzt.

Rekord an entsandten Fachkräften

Insgesamt wurden 163 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Österreich und Zentraleuropa über das Wiener Büro in die Einsatzländer entsandt – mit Abstand die höchste Anzahl seit der Gründung der österreichischen Sektion im Jahr 1994. Sie leisteten insgesamt 241 Hilfseinsätze in 42 Ländern, zusammengenommen betrug ihre Einsatzzeit 59,3 Jahre. „Wir sind dankbar dafür, dass sich so viele Fachkräfte für unsere Patienten und unsere Ziele engagieren. Das zeigt, dass unabhängige und unparteiische Hilfe vielen Österreichern und Österreicherinnen ein großes Anliegen ist“, sagt Thaler.

Mehr als 24 Millionen Euro gespendet

Erfreulich ist auch die ungebrochene Spendenbereitschaft für Ärzte ohne Grenzen: Insgesamt spendeten 2015 knapp 228.000 Privatpersonen und Unternehmen aus Österreich rund 24,8 Millionen Euro für die Hilfsprogramme von Ärzte ohne Grenzen. Auf der Ausgabenseite flossen 18,3 Millionen Euro (75,2 Prozent) direkt in die medizinische und humanitäre Hilfe in 29 Ländern. Weitere 1,3 Millionen Euro (5,2 Prozent) wurden für die Vorbereitung und Unterstützung der Hilfseinsätze aufgewendet – etwa für das Rekrutieren von Fachkräften. 696.000 Euro (2,8 Prozent) flossen in die Bewusstseinsarbeit in Österreich. Für den Verwaltungsaufwand wurde 932.000 Euro (3,8 Prozent) verwendet, weitere 3,2 Millionen Euro (13 Prozent) für Spendenwerbung. Pro ausgegebenem Euro wurden 7,8 Euro gespendet.

 

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