Neue Gewalt in Bangui fordert viele Opfer

30.05.2014
Kämpfe zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen führen zu neuer Gewalt - unsere Teams berichten über Alltag im Krankenhaus
Unser chirurgisches Team behandelt Patient Casimir mit schweren Verletzungen im OP im Krankenhaus der Hauptstadt Bangui.
Julie Damond/MSF
Bangui, Zentralafrikanische Republik, 30.05.2014: Unser chirurgisches Team behandelt Patient Casimir (68) mit schweren Verbrennungen an Gesicht und Oberkörper im OP im Krankenhaus der Hauptstadt Bangui. Sein Haus ging nach einem Angriff mit einer Granate in Flammen auf, auch seine Frau erlitt schwere Verletzungen. Menschen wie Casimir und seine Familie sind Opfer der schrecklichen Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik.

Seit einer Woche wird die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik Bangui von einer neuen Welle der Gewalt erschüttert. Christliche und muslimische Jugendliche gehen aufeinander los. Die Angriffe haben viele neue Opfer gefordert. Einige von ihnen wurden ins ‚General Hospital' gebracht, wo Ärzte ohne Grenzen die Notfallchirurgie unterstützt. MitarbeiterInnen der Organisation schildern, wie ein Tag im ‚General Hospital' derzeit aussieht.

Mittwoch, 28. Mai, 16 Uhr: „Im Stadtteil PK5 wird wieder gekämpft." Kaum hat die Nachricht die Notaufnahme erreicht, wird auch schon ein erster Verletzter auf einem Motorrad eingeliefert, begleitet von zwei Freunden. Der Mann wurde an der Wange verletzt. Kurz darauf trifft ein weiterer Patient mit einer Schusswunde ein und wird sofort von einem Notarzt in Empfang genommen. Eine halbe Stunde später ein dritter Mann. Er wurde bei der Explosion einer Granate verletzt. Die Anspannung nimmt zu, die Räumlichkeiten sind vorbereitet, Chirurgen und Anästhesisten stehen bereit.

Es gibt kaum noch freie Betten

Ärzte ohne Grenzen unterstützt das ‚General Hospital' seit Ende Februar dabei, die Verwundeten zu versorgen. Das dreistöckige Gebäude ist fast vollständig ausgelastet, die Rate liegt bei nahezu 90 Prozent. Es gibt kaum noch freie Betten. „Zwanzig Jahre lang war das Krankenhaus außer Betrieb, nun haben wir sämtliche Bereiche eines Flügels übernommen", sagt Pascal Muhirita, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Wir verfügen über 104 Betten zur stationären Behandlung und vier zusätzliche für intensivmedizinische Betreuung. Aber manchmal reichen unsere Kapazitäten nicht, und wir müssen dann weitere Betten dazustellen."In einigen Stadtteilen Banguis herrscht nach wie vor Gewalt. „Im Februar kamen rund 80 Prozent unserer Patienten wegen Schusswunden zu uns. Später hat diese Zahl abgenommen, dafür kamen mehr Menschen nach Verkehrsunfällen zu uns. Das war ein Zeichen dafür, dass das normale Leben in einige Teile Banguis zurückgekehrt ist", sagt Projektkoordinator Pascal Muhirita. „Doch nun sind die Kämpfe zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen wieder eskaliert. An einem einzigen Tag, dem Sonntag, kamen 16 Verletzte und am nächsten Tag wieder vier."

Viele Schwerstverletzte sind zu betreuen

Im ersten Stock des Krankenhauses befindet sich der Operationssaal. Ein Chirurg, ein Anästhesist und eine Krankenschwester kümmern sich um einen etwa 30-jährigen Patienten, dem sie das Bein amputieren mussten. „Dieser Mann wurde angeschossen, er blutete stark im Oberschenkel. Weil er außerhalb von Bangui lebt, band man ihm das Bein ab. Es dauerte sieben Stunden, bis er hier eintraf. Während dieser Zeit war das Bein nicht mehr durchblutet", erklärt der Chirurg Joel Bost. „Wir öffneten den Oberschenkel, um die Blutung zu stoppen. Nach der Operation entwickelte sich Wundbrand, weil das Bein so lange abgebunden gewesen war. Erst mussten wir den Unterschenkel amputieren, dann das ganze Bein."

Verbrennungsopfer benötigen spezielle Behandlung

Der nächste Patient ist ein 68-jähriger Mann namens Casimir. Er hat schwere Verbrennungen am Körper und im Gesicht. Sein Sohn Jules-Stéphane erzählt, was passiert ist: „Es war der 25. Mai, nachts um halb zwölf. Ich bin wach geworden von einem lauten Knall. Eine Granate! Ich bin zum Haus meiner Eltern gerannt, das schon in Flammen stand. Ich habe die Tür aufgebrochen. Drinnen lag mein Vater mit schweren Verbrennungen. Er sagte noch: ‚Hol deine Mutter', dann ist er kollabiert." Jules-Stéphane sitzt mit seinem Besucherausweis auf den Stufen des Krankenhauses. Beide Elternteile wurden mit schweren Verbrennungen eingewiesen. Von ihrem Haus ist nichts übrig. Jules-Stéphane scrollt durch Fotos auf seinem Telefon. Zu sehen sind nur noch ein paar verkohlte Steine.Die Patienten mit Verbrennungen werden besonders überwacht und betreut. Julie Van Hulse arbeitet als Physiotherapeutin für Ärzte ohne Grenzen . „Bei Brandopfern ist die Physiotherapie sehr speziell. Im Fall von Casimir beispielsweise ist der Arm besonders stark von den Verbrennungen betroffen. Also müssen wir darauf achten, dass der Arm nicht in einer Haltung fixiert ist, denn sonst wird er diese Position beibehalten, und Casimir würde seinen Arm später nicht mehr beugen können."

Kaum ein Tag ohne neue Gewaltopfer

Nachmittags, 17 Uhr, zurück in der Notaufnahme. Logistiker von Ärzte ohne Grenzen legen im Eingangsbereich des Krankenhauses Matratzen aus. Sie bereiten sich auf einen neuen Ansturm von Patienten vor. Gerade ist die Nachricht bestätigt worden: die Kirche im Stadtteil Fatima ist angegriffen worden. Dorthin hatten sich viele vertriebene Muslime geflüchtet. Niemand weiß zunächst, wie viele Tote und Verletzte es diesmal gegeben hat. Ein paar Stunden später können die Teams von Ärzte ohne Grenzen eine erste Bilanz ziehen: Sie haben neun neue Verletzte behandelt, die nach den Kämpfen in Bangui ins Krankenhaus eingeliefert worden sind.Seit Ende Februar arbeiten 20 internationale und 250 lokale Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen in der Notaufnahme des ‚General Hospital' von Bangui. Im April haben sie rund 420 Operationen durchgeführt, 150 Patienten mussten wegen Verletzungen durch Gewaltakte behandelt werden. In den anderen Teilen der Zentralafrikanischen Republik arbeiten mehr als 300 internationale und 2.000 lokale Mitarbeiter für Ärzte ohne Grenzen . Es gibt Projekte in fast 15 Städten und darüber hinaus Hilfe für Flüchtlinge im Tschad, in Kamerun und der Demokratischen Republik Kongo.