Syrische Ärzte kämpfen mit Ansturm von Verletzten

Hunderte Verwundete in Syrien nach Bombardierung eines belebten Markts in Vorort von Damaskus
16.10.2014
Syrien MSF139287 Robin Meldrum web
Robin Meldrum/MSF
Syrien, 22.07.2014: Ein chirurgischer Eingriff in Syrien.

Brüssel/Wien, 17 . Oktober 2014 . Der Bombenangriff auf einen belebten Markt am 9. Oktober hat in der Stadt Erbin in der Region Ost-Ghuta östlich von Damaskus Hunderte Todesopfer gefordert. Ca. 50.000 Menschen lebten hier für über zwei Jahre im Belagerungszustand. Die medizinische Organisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF), die im ganzen Land über 100 Gesundheitseinrichtungen unterstützt - auch in Ost-Ghuta - ist in großer Sorge über die Ärzte in Erbin und in anderen belagerten Gebieten, die mit einem massiven Ansturm von Verwundeten fertig werden müssen.

Seit 4. Oktober ist die Region Erbin unter verstärktem Beschuss, Bombenangriffe haben zugenommen. Der heftigste Angriff war der Bombenabwurf auf einen Markt, nach dem ein Krankenhaus in der Gegend, das von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird, in dem aber keine Mitarbeiter der Organisation tätig sind, über einen Ansturm von 250 Verletzten berichtete.

Notaufnahme überfüllt, Medikamentenvorräte verbraucht

„Nach dem Bombenabwurf auf den Markt vergangenen Donnerstag war unsere Notaufnahme überfüllt“ erklärt einer der Ärzte des Krankenhauses, der anonym bleiben möchte. „Ich hatte mit den Tränen zu kämpfen, als wir die Gliedmaßen von drei Kindern mit schweren Verletzungen amputieren mussten. Wir haben in den vergangenen Tagen dieses Non-Stop-Notfalls 95 Prozent unseres Medikamenten- und Materialvorrats verbraucht. Nachdem die Luftangriffe anhalten und wir gestern wieder mit einem Ansturm von Verletzten zu kämpfen hatten, machen wir uns um die kommenden Tage und Wochen große Sorgen. Wir befinden uns im Belagerungszustand, und es ist schwer, das Material zu bekommen, das wir brauchen. Ich bin traurig – und wütend – dass ich nicht das Niveau an medizinischer Betreuung halten kann, das wir all unseren Patienten zukommen lassen sollten.“

Von 4. Bis 14. Oktober hat das Team des Krankenhauses insgesamt 975 Kriegsverletzte behandelt. 180 davon waren Kinder unter fünf Jahren, 345 waren Mädchen und Frauen. Die Notaufnahme war permanent überfüllt, das chirurgische Team führte 495 chirurgische Operationen bei den am schwersten verletzten Patienten durch. Bisher sind 63 Patienten ihren Verletzungen erlegen, einschließlich zehn Kinder unter fünf Jahren.

Belagerungszustand erschwert Nachschub

Ärzte ohne Grenzen unterstützt das syrische Ärzte-Team seit April 2013 und ist derzeit in täglichem Kontakt mit ihnen. Die syrischen Mediziner geben ihr Bestes, doch es ist schwer für sie, mit derart hohen Patientenzahlen zurechtzukommen. Im September hatte Ärzte ohne Grenze n das Krankenhaus mit einer größeren Lieferung von medizinischem Material als üblich unterstützt, doch durch die große Anzahl an Verwundeten ist wichtiges medizinisches Material bald aufgebraucht. Ärzte ohne Grenzen versucht das Krankenhaus dabei zu unterstützen, die Vorräte wieder aufzufüllen – der Krankenhausdirektor hat dringend um Anästhesie-Mittel, Antibiotika und Infusionen gebeten. Doch dies ist extrem schwierig in einem Gebiet, das seit mehr als zwei Jahren belagert wird.

Rücksichtslose Gewalt in belagerten Enklaven

„Das grauenhafte Blutbad in Erbin zeigt, wie rücksichtslos die Gewalt in den belagerten Enklaven in Syrien ist und macht deutlich, warum diese Krankenhäuser massive Unterstützung benötigen“, sagt Bart Janssens, der Leiter der Einsätze in der Brüsseler Zentrale von Ärzte ohne Grenzen . „Die Umstände und der Stress sind für syrische Mediziner unerträglich geworden. Ihr eigenes Leben ist tagtäglich bedroht. Seit zwei Jahren sind sie 24 Stunden pro Tag in Bereitschaft, jederzeit bereit, um Notfälle zu behandeln. Sie wissen nie, wann es den nächsten Stromausfall gibt, wann das Wasser im Krankenhaus knapp wird oder ob sie genügend Benzin für die Rettungswagen haben. Es ist für sie schon kaum möglich, die normale medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten – geschweige denn, auf extreme Notfälle zu reagieren.“

Ärzte ohne Grenzen betreibt selbst drei Krankenhäuser in Nordsyrien. Die Hilfsorganisation kann in anderen Gebieten nicht arbeiten, weil sie keine Erlaubnis erhalten hat oder es zu gefährlich wäre. Um syrische Mediziner zu unterstützen, hat Ärzte ohne Grenzen ein umfassendes Unterstützungsprogramm entwickelt, das einen besonderen Schwerpunkt auf belagerte Gebiete legt, die von Hilfe abgeschnitten sind. Diese Unterstützung erreicht mehr als 100 Krankenhäuser und medizinische Posten im ganzen Land. Die Aktivitäten reichen von der Aufstockung der Vorräte von Gesundheitseinrichtungen über medizinische Schulungen bis hin zur anlassbezogenen Notversorgung von Spitälern.