Tschad: Zentralafrikanische Flüchtlinge schwer traumatisiert

18.03.2014
Mehrere Nothilfeprogramme gestartet - schwerste psychische & physische Verletzungen
Ärzte ohne Grenzen hat ein Gesundheitszentrum in Bitoye aufgebaut, um die Menschen medizinisch zu versorgen.
Samantha Maurin /MSF
Bitoye, Tschad, 06.03.2014: Der Ort Bitoye im östlichen Tschad liegt an der Grenze zu Kamerun und der zentralafrikanischen Republik - die Einwohnerzahl hat sich auf Grund des Zustroms an zentralafrikanischen Flüchtlingen verdoppelt. Ärzte ohne Grenzen hat ein Gesundheitszentrum aufgebaut, um die Menschen medizinisch zu versorgen.

In der Zentralafrikanischen Republik hält die Gewalt derzeit unvermindert an. Viele Menschen fliehen in die benachbarten Länder, zum Beispiel in den Tschad. In ihrem Heimatland haben die Flüchtlinge Massaker an Familienmitgliedern und Nachbarn miterlebt, dann haben sie sich zu Zehntausenden auf eine Kräfte zehrende Reise in den Tschad gemacht. Dort ist ihr Leid aber noch nicht zu Ende: Viele sind an Leib und Seele schwer verletzt. Ärzte ohne Grenzen hat im Februar mehrere Nothilfeprogramme gestartet, um den Flüchtlingen zu helfen.

„Die meisten Flüchtlinge, die mir ihre Geschichten erzählt haben, taten dies mit monotoner Stimme und ernstem Gesichtsausdruck. Sie haben keine Details der schrecklichen Massaker geschildert, waren distanziert und vermieden es, schmerzhafte Gefühle auszudrücken“, sagte die Psychiaterin Frédérique Drogoul, die für Ärzte ohne Grenzen im Ort Sido eine Gesundheitsstation und ein Krankenhaus mit aufgebaut hat. Ein Mann, dessen Frau und Kinder bestialisch ermordet worden waren, habe ihr gesagt: „Man muss emotional blockieren, sonst wird man verrückt.“

Sido liegt im Süden des Tschad an der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik. 13.000 Flüchtlinge haben sich hier  versammelt. Viele von ihnen haben Hunderte Kilometer zurückgelegt. Die Tschadische Armee hat sie aus Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, mit Lastwagen hierher begleitet.

Der Schmerz wird mit größter Anstrengung unterdrückt

Die Psychiaterin Frédérique Drogoul geht davon aus, dass die schmerzvollen Erinnerungen vieler Flüchtlinge durch unglaubliche Anstrengungen unterdrückt werden. Als Beispiel nannte sie den Fall einer Großmutter, von deren Familie 28 Mitglieder massakriert worden waren: „Sie wirkte wie von sich selbst getrennt.“ Auch ihre beiden Enkel Abdel und Zacharia, beide um die 20 Jahre alt, traf die Psychiaterin in dem Flüchtlingscamp in Sido. „Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, war Abdel eigentlich gar nicht präsent. Er saß nur da und murmelte ab und zu etwas. Seine Großmutter sagte mir, er sei schreiend weggelaufen, als sein älterer Bruder geköpft wurde. Seitdem habe er sich nicht mehr erholt.“

Abdels jüngerer Bruder Zacharia wurde verletzt, als die „Anti-Balaka-Milizen“ eine Granate in seinen Laden feuerten. Nur durch Glück hat sich die Familie auf der Flucht wiedergefunden. Viele Kinder kommen ohne Verwandtschaft in den Tschad. Zu dem Trauma, das sie durch die Gewalt erlitten haben, komme nun noch die Trennung, so Psychiaterin Drogoul. Etwa hundert Kilometer nördlich von Sido, in Doyaba, gibt es ein spezielles Auffanglager für unbegleitete Minderjährige. 400 Kinder, die von ihren Verwandten getrennt wurden, leben hier. Laut Schätzungen des Kinderhilfswerks UNICEF dürften es im gesamten Süden des Tschad mehr als 1.000 sein.

Schwere Wunden durch Macheten und Gewehre

Teams von Ärzte ohne Grenzen berichten zudem von schwersten physischen Verletzungen der Flüchtlinge. „So etwas habe ich nie zuvor gesehen“, sagte Aaaron Zoumvournai, der die Lage an den drei wichtigsten Sammelpunkten der Flüchtlinge im Tschad evaluiert hat. Kinder hatten Schnittwunden von Macheten auf der Kopfhaut, andere Flüchtlinge waren von vielen Kugeln getroffen worden.

Hinzu kommen der Hunger und die mangelhafte sanitäre Ausstattung in vielen Lagern im Tschad. In Sido etwa gibt es nur 20 Latrinen, 300 Zelte und vier Ausgabestellen für Trinkwasser für die 13.000 Flüchtlinge. Ärzte ohne Grenzen ist dort momentan die einzige internationale Hilfsorganisation. „So lange diese Familien keinen Asylantrag im Tschad beantragen können, so lange besitzen sie offiziell auch keinen Flüchtlingsstatus. Das heißt, sie haben keinen Anspruch auf Unterstützung durch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen“, sagte Sarah Chateau, die Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen im Tschad. Sie könnten deswegen auch gegen ihren Willen woandershin geschickt werden, wo sich niemand um die Menschen kümmere: „Was im Süden des Tschad passiert, ist inakzeptabel.“

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Tschad. Im Februar hat die Organisation Nothilfeprogramme in N´Djamena, Bitoye, Goré und Sido gestartet, um die Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik zu betreuen. Weiters gibt es die regulären Programme in Abéché, Am Timan, Massakory, Moissala und Tissi.