„Unsere Patienten erzählen uns schreckliche Geschichten“

17.07.2016
Neuerliche Kämpfe in der Hauptstadt Juba - Bericht unseres Koordinators Ruben Pottier von vor Ort.
MSF Mobile Clinic in Juba, South Sudan
MSF
A Medecins Sans Frontieres (MSF) mobile clinic at St Theresa's Church in Juba, where 2,500 people are taking refuge. The team is focusing on those who are most in need of medical care, and have been treating hundreds people every day, with the main medical needs including malaria, malnutrition, diarrhea and respiratory tract infections. People in parts of Juba remain in urgent need of food, shelter, water and medical care.

Um den Jahrestag der Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli brachen in der Hauptstadt Juba heftige Kämpfe aus. Teams von Ärzte ohne Grenzen waren und sind vor Ort – unter anderem mit mobilen medizinischen Teams. Ruben Pottier koordiniert die Hilfe und berichtet:

„Nach fünf Tagen heftiger Kämpfe, ist es jetzt der zweite ruhige Tag – man kann keine Schüsse hören. Der Waffenstillstand wird in dem Sinne respektiert, dass die militarisierten Gruppen sich nicht bekämpfen. Aber es wird immer noch viel geschossen und geplündert. Laut unseren Patienten und unseren südsudanesischen Mitarbeitern gibt es einen Teil der Stadt, der noch immer sehr unsicher ist.

Die Menschen mussten aus ihren Häusern fliehen und haben Angst zurückzugehen. Ihre Häuser wurden geplündert, und sie haben alles verloren. Einige Geflüchtete, die beschlossen hatten zurückzugehen, haben gesehen, dass alles gestohlen wurde. Also sind sie zurück zur Sankt Theresa-Kirche gekommen, im Süden von Juba, wo wir mobile Sprechstunden anbieten. Die Menschen brauchen vor allem Nahrung, Unterkünfte, Wasser, sanitäre Anlagen und erste medizinische Versorgung.

Viele haben ihre Familien verloren

Gestern haben wir rund 150 Menschen behandelt, heute waren es 377. Wir haben auch Kinder auf Mangelernährung untersucht und denen therapeutische Nahrung zur Verfügung gestellt, die stark oder akut mangelernährt sind.

Unsere Patienten erzählen uns schreckliche Geschichten: Wie bewaffnete Männer in ihr Haus gekommen sind und die Leute darin umgebracht haben. Viele Menschen haben auf der Flucht vor der Gewalt ihre Familien verloren. Heute haben ich einen achtjährigen Jungen getroffen, dessen Vater und Mutter erschossen wurden und der jetzt niemanden mehr hat. Ich habe ein 12 Jahre altes Mädchen gesehen – die dreijährige Schwester auf dem Arm -, das zur Behandlung kam und sagte, dass sie ihre Eltern verloren haben. Meine Kollegen in der mobilen Klinik haben mindestens drei weitere elternlose Kinder gesehen, die erzählen, dass Mutter und Vater erschossen wurden. 

Viele Menschen waren zwischen den Frontlinien gefangen und haben Schussverletzungen. Viele andere wurden auf der chaotischen Flucht verwundet. Einige versuchten, über Mauern mit Stacheldraht zu klettern und zerschnitten sich die Hände. Andere haben Verletzungen am Kopf, an Armen und Beinen.

Traumatisierende Erlebnisse

Zwei Patienten erzählten uns, dass bewaffnete Männer ohne Uniformen in ihre Häuser gekommen seien und ihr Hab und Gut – auch Kleider – genommen und ihre Kinder mitgenommen hätten. Sie berichteten, dass sie unbekleidet aus ihren Wohnungen fliehen mussten. Nachbarn versorgten sie anschließend mit Kleidung.

Die Erzählungen der Menschen sind sehr schrecklich. Auch jetzt noch, nachdem die Kämpfe offiziell aufgehört haben, hören wir von solchen Vorfällen. Es ist traumatisierend, diese Geschichten zu hören, vor allem, wenn man selbst die Schießereien und Bombardierungen gehört hat und die rennenden Menschen auf den Straßen. Für uns ist das belastend. Für diejenigen, die hier wirklich leben, wie auch unsere südsudanesischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, ist es selbstverständlich noch viel belastender."