„Wer flieht, geht große Risiken ein“ – im Nordwesten breitet sich die Gewalt weiter aus

26.02.2014
Interview mit Ärzte ohne Grenzen Mitarbeiter Florent Uzzeni
Vertriebe suchen Schutz rund um die Moschee in Bouar, Zentralafrikanische Republik
Aurelie Lachant/MSF
Zentralafrikanische Republik, 04.02.2014: Rund um die Moschee im Haoussa-Viertel der Stadt suchen Tausende Schutz vor Gewalt und Plünderungen.

Im Nordwesten der Zentralafrikanischen Republik breitet sich die Gewalt weiter aus. Die Stadt Bouar ist davon stark betroffen. Unser stellvertretender Programmverantworlicher Florent Uzzeni ist vor Ort und berichtet von der Lage der muslimischen Minderheit - zurzeit sind dort rund 6.000 Menschen eingeschlossen, die nicht fliehen können. Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Krankenhaus in Bouar seit einem Monat.

 

Wie ist die aktuelle Lage in Bouar?

Die seit März 2013 herrschende Unsicherheit im Land hat mehrfach, zuletzt im Januar 2014, zu Vertreibungen geführt. Die Bevölkerung von Bouar war mehrmals dem Durchmarsch bewaffneter Milizen ausgesetzt. Dabei kam es zu Kämpfen und Gewalttaten gegen Zivilisten. Die Lage ist unvorhersehbar, weil seit Mitte Januar mehrere Tausend bewaffnete Männer anwesend sind, was überall zu Angst und großer Unsicherheit führt. Seit vor einigen Tagen die französischen Truppen angekommen sind, hat sich die Situation in Bouar verändert: Jetzt ist kein einziger Bewaffneter mehr zu sehen. Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Krankenhaus in Bouar seit einem Monat bei der Versorgung der Verwundeten und anderen medizinischen Notfällen.

Wir hören von der Situation der Minderheiten, die zunehmend in Bedrängnis geraten. Wie ist das in Bouar?

Seit dem 21. Januar haben sich tausende Angehörige der muslimischen Minderheit von Bouar bei der Moschee gesammelt. Das Viertel Haoussa ist abgeschnitten, und die Menschen verlassen es aus Angst vor Übergriffen und Einschüchterungen nicht. Vor einigen Tagen haben wir während 20 Minuten etwa 50 Schüsse aus der Nähe des Vertriebenenlagers gehört. Bewaffnete Männer haben die Menschen bedroht und Geld von ihnen erpresst. Diese Gemeinschaft hat Angst, die Menschen fürchten um ihr Leben. Viele Familien haben während der Gewalttätigkeiten der letzten Wochen Angehörige verloren. Die meisten haben auch ihr Hab und Gut verloren und können deshalb ihren Geschäften nicht mehr nachgehen. Viele sehen die Flucht als ihre letzte Möglichkeit.

Sind auch Menschen in die Nachbarländer geflüchtet?

In den letzten Wochen konnten wir mehrere Fluchtbewegungen nach Kamerun beobachten. Anfangs Februar zählten wir im Lager der Vertriebenen noch etwa 8.500 Menschen, von denen in den letzten Tagen etwa 2.000 in die Grenzstadt Garoua-Boulaï in Kamerun geflohen sind. Allerdings kommen auch täglich weitere Menschen an, weshalb es nicht möglich ist, exakte Zahlen zu nennen. In diesem Moment steigen Frauen und Kinder auf Lastwagen, die Richtung Kamerun fahren. Diese Strecke kann seit der Ankunft der französischen Truppen etwas sicherer befahren werden. Die Männer hingegen bleiben hier, weil sie fürchten, unterwegs getötet zu werden. Die Mehrheit der Vertriebenen hat Angst vor der Flucht, und wer dennoch geht, nimmt große Risiken auf sich.

Wie ist die humanitäre Situation der Vertriebenen?

Seit Januar haben die Menschen keine Lebensmittelhilfe erhalten. Wir haben nun die Ernährungslage untersucht und werden ein Programm zur Behandlung mangelernährter Kinder starten. Obwohl die Ernährungssituation noch nicht katastrophal ist, haben wir innerhalb von einer Woche doch etwa 20 mangelernährte Kinder gesehen. Wenn wir jetzt nicht reagieren, wird sich die Lage schnell verschlechtern. Die Region erlebt in der trockenen Jahreszeit ohnehin immer einen Anstieg der Mangelernährung und der Atemwegsinfektionen.

Mit welchen Patienten sind die Teams hauptsächlich beschäftigt?

Wir haben seit unserer Ankunft 72 Patienten in der Notaufnahme des Krankenhauses behandelt, davon waren etwa 40 Unfallopfer, die sich bei Lastwagenunfällen auf der Flucht Richtung Kamerun verletzt hatten. Zuerst wurden sie in Bouar behandelt und vor einigen Tagen nach Garoua-Boulaï verlegt. Auch dort sind unsere Teams im Einsatz. Sie versorgen die Flüchtlinge auf der anderen Seite der Grenze weiter. Wir behandeln wir im Krankenhaus auch Menschen, die sich ihre Verletzungen schon vor einigen Monaten zugezogen haben. Beispielsweise kam vor kurzem ein Patient mit einer mehrfachen Oberschenkelfraktur, die schon mehrere Monate alt war, zu uns. Er hatte sich wegen der unsicheren Lage im Busch versteckt. Einige Leute beginnen nun, wieder zurückzukehren, weil die Lage in den letzten Monaten etwas ruhiger war.

Wie ist der Zugang zu medizinischer Versorgung?

Der Zugang zu Behandlung ist schwierig. Die Menschen, vor allem Angehörige der muslimischen Minderheit, getrauen sich nicht, ihre Unterkunft zu verlassen und ins Krankenhaus zu kommen. Zu unsicher ist die Lage in der Stadt, zu groß die Angst vor den bewaffneten Männern. Wir haben deshalb in Haoussa ein Gesundheitszentrum eröffnet, in dem wir medizinische Grundversorgung anbieten können. Menschen mit Schuss- oder Stichverletzungen haben jedoch keine andere Wahl, als sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Dieses befindet sich einen Kilometer entfernt und der Weg dorthin birgt große Risiken.

Mehrere Leiter von Gesundheitszentren außerhalb der Stadt berichten von Plünderungen. Einige wurden seit März letzten Jahres schon mehrmals von bewaffneten Gruppen bedroht. Auch im Krankenhaus von Bouar sind am 31. Januar bewaffnete Milizen eingedrungen und haben während zwei Tagen alle Behandlungen verhindert. Das Gesundheitszentrum von Bohong, 70 km von Bouar entfernt, wurde mehrmals überfallen, zuletzt im Dezember. Trotz der Bedürfnisse der Bevölkerung musste es deshalb geschlossen werden. Sobald es die Sicherheitslage zulässt, werden wir mobile Kliniken organisieren, die im Umland von Bouar tätig sein werden.

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1997 in der Zentralafrikanischen Republik tätig. Neben acht regulären Projekten betreibt die Organisation auch sieben Notfall-Projekte (Bangui, Bozoum, Berbérati, Bouar, Bossangoa and Bouca). Die Teams bestehen aus mehr als 240 internationalen sowie rund 2.000 lokalen Mitarbeitern. Weitere Teams leisten für Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in Kamerun, im Tschad, in der Demokratischen Republik Kongo sowie in der Republik Kongo Hilfe.