Wie sieht der Alltag eines Notfallkoordinators aus? Charles Gaudry von unserer Notfallabteilug in Genf erzählt.
25.04.2023
Charles Gaudry
Charles Gaudry

Charles Gaudry ist Leiter unserer „Emergency Response Unit“ – der Notfallabteilung - in Genf. Er hat langjährige Einsatzerfahrung: zuerst als Logistiker, später in der Projektleitung unter anderem im Südsudan und in Guinea. Zuletzt koordinierte er einen Einsatz in der Ukraine.

Im Gespräch erzählt er über seinen Arbeitsalltag, seine Motivation und was ihn seit mehr als 20 Jahren bei Ärzte ohne Grenzen hält.

Was gefällt dir an der Notfallarbeit?

Dass wir einen Unterscheid machen können. Manchmal auch nur einen kleinen – etwa, wenn man an einen Ort kommt, und die Menschen einfach froh sind, uns zu sehen. Dass wir vor allem privat – durch viele projektunabhängige Spenden – finanziert sind, macht uns sehr flexibel. Wir können dadurch selbst und sehr schnell entscheiden. Wir sehen eine Versorgungslücke und können sofort reagieren. Diese schnelle Anpassungsfähigkeit, das ist das ist die Kraft von Ärzte ohne Grenzen

Du hast eine fordernde Arbeit mit viel Verantwortung. Wie kann man sich deinen Arbeitsalltag vorstellen – falls es den gibt?

Es ist kein klassischer 9-17-Uhr-Job. Es kommt schon vor, dass ich bis spät abends arbeite und sehr früh wieder beginne. Das kommt in Wellen, denn es gibt nicht jeden Tag eine Katastrophe. Es geht vor allem darum, gut auszuwählen, was man tut und was man nicht tut. Es ist unmöglich, alles zu machen. Woran wir jedenfalls laufend arbeiten: unsere Prozesse zu verbessern, damit wir bei einem Notfall noch effizienter reagieren können. 

Charles Gaudry von Ärzte ohne Grenzen

Es geht vor allem darum, gut auszuwählen, was man tut und was man nicht tut.

Charles Gaudry

20 Jahre Ärzte ohne Grenzen - was hält dich?

Für mich sind es die Notfalleinsätze – der Kern unserer Arbeit. Ich wurde Teil der Organisation, weil ich in dieser Welt, in der es so viel Leid und Ungerechtigkeit gibt, etwas Sinnvolles tun wollte. Ich war oft auf Langzeiteinsätzen, aber immer in Ländern, die mit wiederkehrenden Notfällen wie Gewaltausbrüchen oder Epidemien konfrontiert waren. Jetzt in dieser Position angekommen zu sein, ist für mich ein logischer Weg. 

Gibt es Entscheidungen, die dir besonders schwer fallen?

Das ewige Dilemma zwischen Sorgfaltspflicht für die Teams und Fürsorgepflicht für die Patient:innen. Wie etwa in der Ukraine, und eigentlich in jedem Konflikt, in dem Menschen zwischen zwei kämpfenden Parteien stehen. Also in Gebieten, die direkt unter Beschuss stehen. Die, die dortbleiben, sind meist jene Menschen, die keine andere Wahl haben – häufig der verletzlichste Teil der Bevölkerung. Ich muss auf die Sicherheit meiner Teams achten und wir haben gleichzeitig die Pflicht, den Menschen in Not zu helfen.