Marcus Bachmann ist seit über 15 Jahren mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. Als Einsatzleiter weiß er, warum die Erdbebenhilfe in Syrien und der Türkei noch lange nicht abgeschlossen ist.
Kommentar von Marcus Bachmann
28.03.2023

Ruhig ist es geworden um die Erdbeben. Kein Wort mehr dazu in den Nachrichten. Dabei sollten wir darüber reden. Die Menschen, die von den Erdbeben betroffen sind, wohnen nach wie vor in Zelten. Essen und Wasser sind knapp. Vor allem die Hygienebedingungen bereiten unserem Team vor Ort große Sorgen. Sie befürchten eine Cholera-Epidemie.  

Aus Erfahrung weiß ich, dass die Menschen unsere Hilfe noch Monate lang brauchen werden.

Für die Menschen in der Türkei und in Syrien ist einige Monate nach den Erdbeben noch lange nicht alles so, wie es vorher war. Unsere Teams sind nach wie vor im Einsatz, verteilen Hilfsgüter und behandeln Patient:innen. Bei Katastrophen, wie den Erdbeben, besteht unser Einsatz aus 4 Phasen. Wir sind jetzt in Phase 3.

Phase 1: Schwerverletzte behandeln

Direkt nach dem Erdbeben müssen Überlebende aus den Trümmern geborgen und Schwerverletzte versorgt werden. In diesen ersten 48 Stunden nach einem Erdbeben zählt jede Stunde, um möglichst viele Leben zu retten. Unsere 450 Mitarberiter:innen in Nordwest-Syrien haben Sekunden nach den Erdbeben ihren Einsatz gestartet. 

Earthquake Northwestern Syria, 7 February 2023
OMAR HAJ KADOUR
Bilder, wie dieses, gehen um die Welt. In dieser Phase sind das Medieninteresse und damit auch die Spendenbereitschaft weltweit sehr groß.

Phase 2: Grundbedürfnisse decken

In den Tagen nach den Erdbeben wird langsam klar, welcher Schaden verursacht wurde, wie viele Todesopfer und Verletzte es gibt und wie viele Menschen kein Dach mehr über dem Kopf haben. Die Suche nach Überlebenden wird eingestellt. Wir versorgen die Menschen, die alles verloren haben, mit Essen, Wasser, Unterkünften, Decken und notwendigen Medikamenten. 

In Phase 2 schweben immer noch viele Menschen in Lebensgefahr. Sie müssen operiert und versorgt werden. Krankenhäuser sind überlastet, weil sie nicht genug Betten, Equipment und Personal für die vielen Verletzten haben. Auch sie brauchen Unterstützung. 

Phase 3: Epidemien verhindern

Jetzt, einige Monate nach den Erdbeben, sind wir also in Phase 3. Die Menschen leben nach wie vor in Zeltstädten. Der Wiederaufbau ihrer Häuser wird Jahre dauern. Es gibt zu wenige Sanitäranlagen für zu viele Menschen in den Lagern und auch nicht genug sauberes Wasser.  

Providing healthcare among the rubble in Jindires
Abd Almajed Alkarh
In provisorischen Zeltstädten leben viele Menschen auf engem Raum. Krankheiten verbreiten sich hier rasend schnell. 

Das Risiko von Krankheitsausbrüchen, wie zum Beispiel einer Cholera-Epidemie, ist groß. Wir sind auf solche Szenarien vorbereitet und haben Notfallpläne. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass die Menschen unsere Hilfe noch sehr lange brauchen werden. 

Phase 4: Physische und psychische Wunden heilen

In Phase 4 geht es um die langfristige Heilung der Menschen: physisch und psychisch.

Menschen, die schmerzhafte und komplizierte Verletzungen wie Trümmerbrüche erlitten haben oder eine Amputation hinter sich haben, brauchen jetzt Physiotherapie und Reha-Einheiten. Nur so können langfristige Beschwerden verhindert und die Lebensqualität erhöht werden.  

Providing healthcare among the rubble in Jindires
Abd Almajed Alkarh
In mobilen Kliniken behandeln unsere Teams Patient:innen. Viele Menschen kommen wegen chronischer Beschwerden, wie Diabetes oder Bluthochdruck. Die Hausärtz:innen, zu denen sie sonst gegangen wären, gibt es nicht mehr.

Ebenso wichtig ist die Heilung der psychischen Wunden. Unerwartete, lebensbedrohliche Ereignisse, wie Erdbeben, lösen Traumata aus, die das Leben der Betroffenen einschränken – manchmal sogar gefährden. Psychologische Betreuung ist notwendig, damit die Menschen das Erlebte verarbeiten und Traumata überwinden können. Das ist ein Prozess, der noch viele Jahre dauern wird. 

Warum wir gerade jetzt helfen müssen

Manchmal werde ich gefragt, warum wir immer noch Erdbebenhilfe machen. Die Erdbeben seien doch schon längst vorbei. Nein, sind sie nicht. 

Monate nach den Erdbeben wird in den Medien zwar kaum mehr berichtet. Die internationale Solidarität nimmt ab und die Spendenbereitschaft sinkt. Die nächste Krise steht im Mittelpunkt. Doch unsere Kolleg:innen in Syrien und der Türkei sehen täglich, dass die Menschen auch weiterhin unsere Hilfe brauchen.  

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