Zurück in Am Timan

Kommentar von Ursula Wagner
13.07.2015
Zurück in Am Timan

Nach meinem Urlaub und dem Besuch im Krankenhaus in Abéché (siehe Blogpost von voriger Woche) kehre ich zurück in mein eigentliches Projekt in Am Timan. Beim Landeanflug hebt sich Braunrot die Landepiste vom Grün der Bäume ringsum ab. Alles wirkt so frisch, die Farben kräftig, seit der Staub heruntergewaschen wurde. Und die Kinderschar, die zum alle paar Tage stattfindenden Spektakel „Flugzeuglandung“ gekommen ist, spiegelt sich in einer großen Pfütze. Keine Staubwolke, als die Maschine, nachdem sie mich als einzige Passagierin ausgesetzt hat, wieder abhebt und gen Norden verschwindet. Bei der ersten Fahrt ins „Outreach, unserer Hilfe in entlegenen Gebieten, wird mir erst richtig klar, wie sehr sich die Bedingungen innerhalb weniger Tage und Regenschauer geändert haben. Und warum die NomadInnen nun in Scharen gen Norden aufbrechen, um dort die Regenzeit zu überdauern. Die Landcruiser mäandern im Schlamm, wir brauchen fast doppelt so lang für die Fahrt wie sonst. Endlich im Gesundheitszentrum angekommen, flüchtet sich alles, was gehen kann, vom Wochenmarkt zu uns, wieder ein Wolkenbruch, doch diesmal ein nicht enden wollender, Regen über Regen, alles nass, alles feucht, Esel, Pferde und Ziegen stehen mit eingezogenen Hälsen unter Bäumen, ein Kamel mit gefesselten Beinen humpelt schutzsuchend herum.

Blick vom Gesundheitszentrum zum verregneten Wochenmarkt von Ablelaye. (c) Ursula Wagner/MSF
Ursula Wagner/MSF
Blick vom Gesundheitszentrum zum verregneten Wochenmarkt von Ablelaye.

An eine Fahrt in ein Dorf und gemütlich unter einem Baum sitzen und Geschichten erzählen, daran ist heute nicht zu denken. Der Boden nimmt das Wasser nicht auf, sondern lässt es in großen Pfützen stehen, die ganze Fläche bis hin zum Markt hat sich binnen weniger Stunden in einen seichten See verwandelt, den die Frauen nun in hochgezogenen Kleidern durchwaten. Mir wird bewusst, wie aussichtslos unsere Aufklärungsarbeit zu Malaria ist, wo wir vor stehenden Gewässern warnen, in denen die Moskitos brüten. Es gibt hier einfach gar keine Möglichkeit, dem Wasser Einhalt zu gebieten. Es wird kommen und es wird bleiben.

Ich bleibe im Gesundheitszentrum bei der Hebamme, die die routinemäßigen Checks vor der Geburt macht und Malaria-Prophylaxe verteilt. Viele der Frauen haben noch nie eine Waage gesehen und setzen sich entweder drauf oder steigen unbeholfen und wankend drauf. In einem Reigen bekomme ich die Themen meiner Arbeit, so als hätte ich nach meiner Abwesenheit eine Auffrischung nötig, hautnah präsentiert. Vor mir steht ein gut 12-jähriges Mädchen, ihr Mann (der wohl Ende 20 ist), hat 15 Jahre als ihr Alter angegeben. Sie hat Blutungen, möglicherweise ist sie schwanger, so wird ein Test gemacht. Oft genug wurde mir erzählt, dass es sich hier nicht ziemt, die Menstruation im Haus der Eltern zu erleben, zu groß sei die Gefahr einer außerehelichen Schwangerschaft. Es kursiert das Gerücht, der Koran schreibe vor, ein Mädchen ab 12 Jahren, um dessen Hand geworben wird, müsse man zur Heirat freigeben. Der tschadische Staat hat jedoch vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, welches das Heiratsalter auf 18 Jahre anhebt. Genau diese Themen diskutieren wir gemeinsam in unseren Besuchen in den Dörfern und weisen auf die medizinischen Risiken hin, wenn ein zu junges Mädchen schwanger ist (siehe Blogpost über "Junge Bräute"). Das Testergebnis ist positiv. Ich betrachte das Mädchen vor mir und frage mich, wie es ihr wohl geht. Selbst noch ein Kind, verheiratet, wie viel Aufklärung sie wohl bekommen hat? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie in diesem schmalen, kleinen Körper ein Kind heranwachsen kann, und schon gar nicht, wie es herauskommen soll.

Ursula Wagner/MSF
Unsere Hebamme Lidah untersucht eine schwangere Frau.

Genau das ist das Problem bei einem anderen Mädchen mit einem hübschen Gesicht, von kunstvoll geflochtenen Haaren umrahmt, das im Nebenzimmer liegt. Sie ist ein wenig älter, vielleicht 15. Seit drei Tagen liegt sie in den Wehen, ihre Großmutter, eine traditionelle Hebamme hat sie hergebracht, die ich vom Besuch in ihrem Dorf in meiner ersten Woche hier mit Freude wiedererkenne – natürlich nach langer Diskussion und schließlich Einverständnis eines Mannes, ihres Schwagers, denn der Ehemann des Mädchens arbeitet im Ausland. Die kleine Kugel von Bauch, die aus dem jugendlichen Körper hervorsteht, wirkt befremdlich auf mich. Vielleicht auch für das Mädchen, das sich in kurzen Abständen von den Wehen gebeutelt krümmt, während ihre Großmutter beruhigend ihre Hand hält. Wieder einmal bin ich verwundert, wie wenig hier Schmerz geäußert wird. Die Geburt will nicht und nicht vorangehen.

Daraufhin geselle ich mich zum Ernährungsteam, wo Kinder gewogen werden, mit dem „MUAC-Band“ der Oberarmumfang gemessen wird (MUAC steht für „middle upper arm circumference") und sich Mütter die Rationen der therapeutischen Fertignahrung namens „Plumpy Nut“ (siehe Blogpost über Mangelernährung) für die Woche holen.  Heute ist wegen des Unwetters wenig los, daher wird gegen Mittag zusammengepackt, die letzten Statistiken geschrieben.

Ärzte ohne Grenzen Mitarbeiter Youssouf misst den Oberarm eines Kindes mit dem MUAC-Band.
Ursula Wagner/MSF
Unser Mitarbeiter Youssouf misst den Oberarm eines Kindes mit dem MUAC-Band.

Plötzlich taucht eine hochgewachsene Frau auf, in der Hand einen Spieß, wie eine Statue steht sie da, mit großen bittenden Augen und einem kleinen Bündel von Kind, das an ihrem Busen nuckelt. Sie war vergebens in einem anderen Gesundheitszentrum gewesen, wo niemand war, nun sei sie hierhergelaufen, einige Stunden. Sie sei erschöpft, müde von der Sorge um ihre Tochter. Diese soll gut ein halbes Jahr sein. Die Waage wird wieder ausgepackt und zeigt 3,7 Kilo an, das durchschnittliche Geburtsgewicht eines Babies. Die traditionelle Medizin habe nicht geholfen, ihr Vater ist ein „Marabout“, ein spiritueller Gelehrter – er habe versucht, dem vom Teufel verursachten immer wieder auftretenden Durchfall mit Gebeten und Amuletten Einhalt zu gebieten. So habe sich der Zustand des Mädchens verschlechtert, bis ihr jemand im Dorf gesagt habe, sie solle doch hierher gehen, wo Ärzte ohne Grenzen arbeitet. Sie ist gegen den Willen ihres Mannes gekommen, was für eine Überwindung muss das doch sein und wie groß der Leidensdruck.

Wir brechen schließlich mitsamt Mutter und Kind, dem schwangeren Mädchen und deren Großmutter ins Spital nach Am Timan auf. Als ich am Tag darauf zu Besuch ins vollbelegte Ernährungszentrum komme, wirkt die Mutter gelöst. Sie sei froh, dass sie hier sei, sie finde Hilfe, und ihrem Kind gehe es schon besser. Auch ihr Mann sei schon dagewesen und einverstanden damit, dass sie da ist. Sie wird ein paar Tage bleiben müssen, bis ihr Kind aufgepäppelt ist. Ich schaue auch wiederholt bei der jungen Mutter auf der Geburtenstation vorbei. Es musste ein Kaiserschnitt gemacht werden, aber sie erholt sich gut, das Kind, ein kleines Mädchen, ist wohlauf. Am Tag vor ihrer Entlassung ist auch große Schwester auf Besuch. Diese merkt lachend an, man sehe, dass sie noch keine Erfahrung habe, so unbeholfen wie sie das Kind halte. Auch die Großmutter, die traditionelle Hebamme, gesellt sich später zu uns, und die beiden Frauen bestätigen: Ja, bis vor kurzem sei alles im Dorf vor sich gegangen, Leben, aber auch Sterben, bei der Geburt, im Wochenbett. Allah und auch Ärzte ohne Grenzen sei Dank habe sich das nun geändert.

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