Der Krieg im Jemen: die Zivilbevölkerung zahlt einen hohen Preis

Interview mit der Krankenschwester Candelaria Lanusse, die als Gesundheitsberaterin mit Ärzte ohne Grenzen im Jemen auf Einsatz war.
06.04.2017
North-governorate of Yemen in the camps of Huth and Khamir.
Francesco Segoni/MSF
In the camp of Khamir there is no access to water, and there are drilling few hundred meters from the camp. On the camp of Khamir there are problems of security and MSF can’t have access because it is a private field.

Zwei Jahre, nachdem der bewaffnete Konflikt im Jemen eskalierte, sind die medizinischen und humanitären Bedürfnisse unvermindert groß. Für Hilfsorganisationen ist es schwierig Hilfe zu leisten. Die argentinische Krankenschwester Candelaria Lanusse war in der nördlichen Provinz Hajjah und Sana’a, der Hauptstadt Jemens, als Gesundheitsberaterin für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. 

Wie beeinflusst der Konflikt den Jemen?

Die Eskalation des Konflikts ist für die Zivilbevölkerung nur schwer zu ertragen. Nach Angaben der Vereinten Nationen benötigen derzeit mehr als 18 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Es gibt rund drei Millionen intern Vertriebene im Land, viele wurden bereits mehrmals vertrieben und mussten alles zurück lassen. Tausende sind seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzung gestorben oder verletzt worden. Durch den Krieg kommt es auch zu Lebensmittelknappheit und erhöhten Kraftstoffpreisen. Ein großer Teil der Bevölkerung ist schon über längere Zeit der Gewalt und ihren Folgen ausgesetzt. Es ist auffallend, dass psychologische Hilfe als etwas Normales akzeptiert wird. Viele erkennen die Notwendigkeit einer psychologischen Betreuung und fordern diese auch ein.

Was sind die Hauptprobleme und welchen Bedarf gibt es im medizinischen und humanitären Bereich?

Die jemenitische Bevölkerung ist von der humanitären Hilfe sehr abhängig. Durch die Kämpfe und Bombardierungen ist es aber schwierig, den Bedarf abzudecken. Für die Einsatzkräfte ist der Zugang zu den Patienten und Patientinnen oft nur eingeschränkt möglich. Im Konfliktgebiet ist das Gesundheitssystem fast zur Gänze kollabiert. Das hat zur Folge, dass die Durchimpfungsrate stark gesunken ist. Es treten vermehrt Fälle von vermeidbaren Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Keuchhusten auf. Die Verteilung von Lebensmitteln findet nur unregelmäßig statt.

Einige humanitäre Helfer und Helferinnen haben auf eine drohende Hungersnot im Jemen hingewiesen. Wie sehen Sie die Situation?

Die Zahlen der Vereinten Nationen sind schockierend. Demnach sind 1,1 Millionen stillende Frauen mangelernährt und 462.000 Kinder unter fünf Jahren sind von akuter Mangelernährung betroffen. Für Ärzte ohne Grenzen ist es schwierig eine aussagekräftige Analyse zu erstellen. Einerseits ist die Verschlechterung der Situation naheliegend, da die Menschen von ihrem zu Hause vertrieben wurden. Sie mussten die Ernte sowie die Tiere zurück lassen. Andererseits kommen nur die besonders schwer von Mangelernährung betroffenen Fälle ins Krankenhaus, eine ambulante Pflege gibt es nicht.
Aus diesen Gründen hat Ärzte ohne Grenzen kein umfassendes Bild der Situation. Im Krankenhaus von Abs in der Provinz Hajjah sind unsere Teams überrascht, dass die Kapazitätsgrenze des Ernährungszentrums nicht erreicht ist, möglicherweise liegt dies daran, dass nicht so viele Kinder aus entfernteren Gebieten dorthin überwiesen werden.
Zwischen März 2015 und Dezember 2016 haben wir landesweit 4.485 akut mangelernährte Kinder behandelt. Viele Kinder sind jünger als sechs Monate, was einerseits auf den Mangel an Lebensmitteln zurückzuführen ist, andererseits sind viele Frauen aufgrund ihrer Traumatisierung nicht in der Lage zu stillen.

Im Konflikt wurden auch Hilfsorganisationen angegriffen. Hat die Bevölkerung aufgrund des Risikos eines Angriffs auf medizinische Einrichtungen Angst davor ins Krankenhaus zu gehen?

Dutzende Gesundheitseinrichtungen wurden bei Angriffen und Kämpfen zerstört. Vier von Ärzte ohne Grenzen betriebene Krankenhäuser wurden zwischen Oktober 2015 und August 2016 bei Luftangriffen oder durch Beschuss zerstört. Das führte zu einer vorübergehenden Evakuierung der Einsatzkräfte sowie der Unterbrechung der Hilfe.
Die Gewalt hat für viele Menschen ihr Leben tief greifend verändert. Die Bevölkerung kommt ins Krankenhaus, wenn Sie medizinische Hilfe braucht, vorausgesetzt Bombardierungen in ihrer Wohnumgebung hindern sie nicht daran. Viele medizinische Einrichtungen sind geschlossen, da das Personal geflüchtet ist. Eine Schwierigkeit besteht auch darin, dass der Import von medizinischem Material nicht ausreichend funktioniert. Eine Einfuhr über den Seeweg ist nicht möglich und der Transport von medizinischen Hilfsgütern mit dem Flugzeug sehr teuer.

Welche Aufgaben erfüllt Ärzte ohne Grenzen in der Hauptstadt sowie im Norden Jemens?

In der jemenitischen Hauptstadt Sana´a unterstützt Ärzte ohne Grenzen Krankenhäuser, die eine große Zahl an Kriegsopfern behandeln, unter anderem auch eine medizinische Einrichtung, die sich um die Behandlung von Verbrennungsopfern kümmert. Weites wird das nationale HIV/Aids-Programm unterstützt, und es werden Schulungen für das medizinische Personal angeboten.

Mehr als 95 Prozent der Patienten und Patientinnen haben ungeachtet der Kämpfe einen durchgehenden Zugang zu ihrer Behandlung. In der nördlichen Provinz Hajjah werden in den von Ärzte ohne Grenzen unterstützen Krankenhäusern auch orthopädisch-chirurgische Eingriffe durchgeführt. Im ländlichen Krankenhaus in Abs liegt der Schwerpunkt auf Geburten, Neugeborenen und Kinderheilkunde. Es werden mobile Kliniken betrieben, um auf Notfälle wie z. B. einen Malariaausbruch schneller reagieren zu können.

Candelaria Lanusse, Gesundheitsberaterin von Ärzte ohne Grenzen im Jemen
MSF
Candelaria Lanusse, Gesundheitsberaterin im Jemen

Ärzte ohne Grenzen arbeitet derzeit in den jemenitischen Regionen Ibb, Taiz, Sa´ada, Hajjah, Amran, Aden, Al-Dhale und Sana´a. Von Beginn des Konflikts im März 2015 an bis zum Dezember 2016 behandelten die Teams von Ärzte ohne Grenzen mehr als 56.000 Verletzte, führten rund 29.000 chirurgische Eingriffe durch und halfen bei der Geburt von mehr als 23.400 Kindern.