Große Hitze und tolle Menschen - Auf Projektbesuch im Irak

Kommentar von Laura Leyser
09.07.2021
Laura Leyser ist Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich. Sie war auf Projektbesuch im Irak und berichtet hier, was sie besonders bewegt hat:

Ein betretener Blick. Ein schockiertes „Ich hab gehört du musst in den Irak“. So wurde mir von Freund:innen und Familie in den Wochen vor meiner Reise in den Irak begegnet. Meine Antwort, bei strahlendem Gesicht: „Nein, ich darf in den Irak“. Und während bei weitem die Neugierde, Freude und Aufregung dominierte, war mir dennoch ein klein wenig mulmig zu mute. Wer kennt nicht die schrecklichen Kriegsbilder aus dem Irak. Wer hat nicht von der Islamischen Staat (IS) Gruppe und ihren Gräueltaten gehört… 

Wie es dort nun wohl ist?

Mein erster Eindruck: unglaubliche Hitze

Laura Leyser in Mossul
Hassan Kamal Al-deen/MSF
Die Hitze ist schwer zu ertragen.

Während meines zweiwöchigen Aufenthalts kletterte das Thermometer jeden Tag weit über 40˚C, oft auch über 45˚C. Kolleg:innen hatten mich vor dem „Heißluftbackrohrgefühl“ gewarnt, so richtig gewöhnt habe ich mich aber nie daran. 

Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die bei dieser Hitze, teils sogar in der Sonne, arbeiten und körperlich tätig sein müssen. Glücklicherweise haben unsere Krankenhäuser Klimaanlagen, auch wenn diese viele Stunden am Tag von Generatoren betrieben werden müssen weil es oft keinen Strom gibt.

Video-Bericht aus Mossul

Mein zweiter Eindruck: unglaublich tolle Menschen

Unsere Teams vor Ort, die alles geben, um eine medizinische Versorgung sicherzustellen. Eine unserer Hebammen wuchs zum Beispiel selber in einem Geflüchtetencamp in Uganda auf und sie und ihre Geschwister wurden immer wieder von Teams von Ärzte ohne Grenzen im Camp behandelt, unter anderem wegen schwerer Mangelernährung. Heute ist sie internationale Mitarbeiterin von Ärzte und Grenzen und hilft selber Menschen auf der ganzen Welt. 

1000 Geburten im Monat

Und unsere Patient:innen, die trotz oft schwierigster Umstände für sich und ihre Kinder kämpfen. In unserer Klinik Nablus in West-Mossul (der Teil von Mossul der am längsten unter der Herrschaft der IS Gruppe war und der Teil der am stärksten vom Kampf um Mossul zerstört wurde) werden jeden Monat zwischen 700 und 1000 Babys geboren. 

Laura Leyser in Mossul
Hassan Kamal Al-deen/MSF
Ein Neugeborenes in unserer Klinik in West-Mossul.

Dank unseres Operationssaals können wir auch schwierigen Geburten zu einem glücklichen Ausgang verhelfen. Bis vor kurzem waren wir überhaupt die einzigen, die in West-Mossul eine solche medizinische Versorgung bereitstellen.

Mossul hat übrigens, ähnlich wie Wien, um die zwei Millionen Einwohner:innen. Und auch wenn wir laufend unsere Arbeit an den Bedarf anpassen, stehen den Menschen hier noch lange nicht alle Möglichkeiten, die es in unseren westlichen Ländern gäbe, zur Verfügung, um zum Beispiel Frühgeborene immer ausreichend zu behandeln.

Das schmerzt. 

Wie wichtig psychische Gesundheit ist

Wie wichtig unsere Arbeit auch im Bereich der psychischen Gesundheit ist, sehe ich nicht nur in Mossul sondern auch in unserem Projekt, das wir im Bezirk Sindschar betreiben.

Sindschar war der Brennpunkt des Völkermordes gegen die Jesid:innen durch die IS Gruppe. Es wurden Tausende ermordet, Tausende entführt (und viele weiterhin vermisst) und Hunderttausende zur Flucht gezwungen. Nur zögerlich kehren manche Jesid:innen zurück nach Sindschar. Zu schlimm waren die Erlebnisse.

Die ca. 30,000 Einwohner:innen der Stadt Sinuni in Sindschar, sowie umliegende Dörfer, bekommen von Ärzte ohne Grenzen nicht nur dringend notwendige medizinische Versorgung sondern auch psychologische Unterstützung zur Traumabewältigung. Die Selbstmordraten, vor allem bei jungen Frauen, sowie psychische Erkrankungen sind höher als in anderen Teilen des Landes. Unser Team aus Psychiater:innen, Psycholog:innen und Therapeut:innen bietet oft lebensrettende Hilfe. 

Ein einmaliger Einblick, was Ihre Spenden möglich machen

Laura Leyser in Sinuni, Irak
Hassan Kamal Al-deen/MSF
In der Klinik in Sinuni

Nach über einem Jahr Reisepause wegen der COVID-19-Pandemie hat mir der Projektbesuch im Irak wieder einen einmaligen Einblick in unsere Arbeit vor Ort ermöglicht. Arbeit, die auch durch die tatkräftige Unterstützung unserer Unterstützer:innen in Österreich möglich gemacht wird – ob durch Spendengelder (EUR 1 Million wurden durch österreichische Beiträge im Irak 2020 finanziert) oder Kolleg:innen, die wir vor Ort schicken, um direkt „mitanzupacken“.

Danke, dass Sie dies möglich machen!