Gaza: Medizinische Versorgung über Krieg und Waffenruhe hinweg

26.08.2014
Waffenstillstand. Aber die Aktivitäten im größten Krankenhaus von Gaza gehen unvermindert weiter.
Eine Anästhesistin von Ärzte ohne Grenzen in der Notaufnahme des Shifa Krankenhauses.
Samantha Maurin/MSF
Gaza, Palästinensische Gebiete, 19.07.2014: Eine Anästhesistin von Ärzte ohne Grenzen in der Notaufnahme des Shifa Krankenhauses.

Während 50 Tagen war das Al-Shifa Krankenhaus von Gaza dem Rhythmus von Gefechten, anschließender Waffenruhe und wieder aufflammenden Kämpfen ausgesetzt. Vergangene Nacht schließlich, am 25. August, trat ein unbefristeter Waffenstillstand in Kraft – zur Erleichterung sowohl der Teams von Ärzte ohne Grenzen , als auch der gesamten Bevölkerung von Gaza. Aber die Aktivitäten im größten Krankenhaus von Gaza gehen unvermindert weiter. Noch gestern wurden Menschen eingeliefert, die bei den letzten Bombardements verwundet wurden, ebenso Personen, die bereits vorher Verletzungen erlitten hatten, aber erst jetzt zur Behandlung kommen konnten.

OP-Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten im Al-Shifa Krankenhaus weiterhin Schichten mit dem Personal des palästinensischen Gesundheitsministeriums. Begonnen hatten sie damit, seit die israelische Armee am 8. Juli die „Operation Protective Edge" startete. Maurice, ein auf Behandlungen im Brustraum spezialisierter Chirurg, ist gerade aus Gaza zurückgekehrt."Ich habe PatientInnen mit Brust-und Bauchverletzungen operiert", sagt er. "Meistens handelte es sich um Wunden, die durch Granatsplitter verursacht wurden. Selbst ein kleines Stück Schrapnell, das kleiner als 1 cm ist, kann alles in seiner Bahn zerreißen und massive Verletzungen an der Lunge verursachen. Mehr als die Hälfte der PatientInnen, die ich operiert habe, waren Frauen und Kinder."

Zwei weitere Chirurgen von Ärzte ohne Grenzen arbeiten derzeit im Al-Shifa Krankenhaus. Sie behandeln PatientInnen mit schweren Verbrennungen, die mehrere Operationen benötigen. Sie führen zudem plastische Chirurgie und Hauttransplantationen durch. Außerdem werden sie gerufen, um bei besonders schwierigen oder langen Operationen zu helfen. Im 60-Bett-Krankenhaus Al-Shifa treffen PatientInnen aus dem gesamten Gazastreifen ein. Es hat sechs Operationssäle, eine Intensivstation, in der Verbrennungsopfer betreut werden, und eine Notaufnahme. Das palästinensische Gesundheitspersonal ist sehr erfahren, aber eine Reihe von Krankenhäusern in Gaza wurde zerstört oder beschädigt und die Arbeitsbelastung in Al-Shifa ist so hoch, dass weiterhin Unterstützung von außen benötigt wird.

Überlastete Notaufnahme und Operationssäle

Drei chirurgische Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiteten vom 28. Juli bis 10. August im Al-Shifa Krankenhaus. Während der Bodenoffensive trafen täglich etwa 30 bis 40 schwer verletzte Patienten ein - die Notaufnahme und die Operationssäle waren überlastet.

"Viele PatientInnen hatten mehrere durch Explosionen verursachte Splitterwunden mit Verletzungen an Brust, Gliedmaßen und Gefäßen", sagt Kelly, der fast vier Wochen als Anästhesist im Gazastreifen verbracht hat. "Menschen, die sich während einer Explosion in der Nähe aufhalten, erleiden Verbrennungen durch die Hitze. Der Druck beschädigt ihre Lungen, und Splitter durchdringen ihre Körper. Die Druckwelle kann die Beinknochen einer stehenden Person zerstören, dann müssen beide Beine amputiert werden - es ist schrecklich, aber es gibt keine andere Lösung."

In sieben Wochen hat Ärzte ohne Grenzen 37 internationale MitarbeiterInnen nach Gaza geschickt, darunter ChirurgInnen, ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und ProjektkoordinatorInnen. Momentan arbeiten von Ärzte ohne Grenzen zwei Chirurgen, zwei Anästhesisten und eine Krankenschwester für die Intensivstation in dem Krankenhaus.

Klinik in Gaza-Stadt

Ärzte ohne Grenzen betreibt auch eine Klinik in Gaza-Stadt. Dort kümmern sich MitarbeiterInnen um die postoperative Versorgung von PatientInnen, deren Verbände gewechselt werden müssen und Physiotherapie bekommen.

Die Aktivitäten in der Klinik für postoperative Betreuung waren innerhalb der letzten sieben Wochen abhängig von der Intensität der Angriffe. In der Hochphase des Krieges schloss die Klinik für elf Tage, da es den PatientInnen weder möglich war, selbst in die Klinik zu gelangen, noch von einem Auto von Ärzte ohne Grenzen erreicht zu werden. Während dieser Zeit verteilte das Team Verbands-Kits an die PatientInnen. Als die Klinik wieder geöffnet wurde, war es 20 bis 40 Prozent der PatientInnen möglich, zu ihren Terminen zu kommen. Eine Reihe von PatientInnen konnte bisher jedoch noch nicht wieder ausfindig gemacht werden. Jetzt ist die Klinik wieder vollständig belegt. "Es ist wie in einem Bienenstock", sagt Dr. Abu Abed von Ärzte ohne Grenzen . "Neben unseren ehemaligen PatientInnen pflegen wir auch neue PatientInnen, die während des Krieges verletzt wurden. Zwischen dem 1. Juli und dem 25. August waren das mehr als 100 neue PatientInnen."

Neben der Arbeit im Al-Shifa Krankenhaus und in der Klinik für postoperative Betreuung hat Ärzte ohne Grenzen auch Medikamente und medizinische Versorgungsgüter weitergegeben. Empfänger waren die Zentralapotheke in Gaza, das Al-Shifa Krankenhaus, das Nasser-Krankenhaus in Khan Younis und das Kamal-Edwan-Krankenhaus in Beit Lahiya.

Zusammenarbeit ist wichtige Chance neue Kenntnisse zu erlangen

Von großer Bedeutung ist die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Teams von Ärzte ohne Grenzen und denjenigen des palästinensischen Gesundheitsministeriums. Letztere waren sehr froh über die Chance, durch die MitarbeiterInnen von Ärzte ohne Grenzen Neues aus den Bereichen Chirurgie, Anästhesie und allgemeinmedizinische Praktiken zu lernen. Denn durch die Blockade des Gazastreifens wurde das palästinensische medizinische Personal in den vergangenen Jahren der Möglichkeit beraubt, Kenntnisse mit internationalen Kollegen auszutauschen, praktische Erfahrungen zu sammeln oder zu medizinischen Konferenzen im Ausland reisen.

40 palästinensische und 10 internationale MitarbeiterInnen von Ärzte ohne Grenzen arbeiten zurzeit in Gaza. Ärzte ohne Grenzen arbeitet auch in Hebron und Nablus im Westjordanland in einem Programm zur psychologischen Unterstützung.