08.06.2022
Elisa de Siqueira ist Expertin für das Thema Klimakrise im humanitären Kontext. Sie schreibt über die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.

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In einem unserer Projekte im Norden Kameruns wird vor allem Mangelernährung behandelt. Anders als in den Jahren zuvor, sind jetzt, recht früh im Jahr (2022), schon mehr als 80 Prozent der 60 Betten belegt. Die Patient:innen sind meist Kinder unter 5 Jahren, Schwangere und stillende Frauen. Die Menschen hier verlassen sich stark auf die Regenzeit. Wenn es aber weniger regnet, gibt es weniger Wasser. Ohne Wasser, keine Ernte. Ohne Ernte, kein Essen. Und bei minderwertiger Nahrung steigt das Risiko von Mangelernährung, insbesondere bei Kindern. 

 Elisa de Siqueira

Alles hängt miteinander zusammen.

Elisa de Siqueira, politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen und Expertin für das Thema Klimakrise im humanitären Kontext

Im Nachbarland, an der südlichen Spitze des Tschad-Sees, haben wir ein ähnliches Projekt. Im Krankenhaus von Massakoury sind 50 Betten nur für Mangelernährungsfälle reserviert. Aktuell ist die Station mit 71 Patient:innen überbelegt - mehr als die Hälfte von ihnen sind bis zu vier Monate alte Babys. Ihre Mütter haben selbst so wenig zu essen, dass sie keine Milch mehr haben. 

 

Epidemien, Konflikte, Naturkatastrophen

IHRE SPENDE SICHERT MEDIZINISCHE HILFE.

Deogracias Kabila, der medizinische Koordinator dort, ist besorgt: „Es ist ein Teufelskreis! Es fehlt nicht nur an Essen, sondern auch an sauberem Wasser. Daher haben die Kinder oft gleichzeitig Durchfall und können die hochkalorische Fertignahrung gar nicht mehr aufnehmen. Ihr Immunsystem, das ohnehin schon geschwächt ist, erholt sich erst langsam und die Kinder leiden langfristig an den Folgen.“  

Abakar Idrissa
Djerabe Ndegrgar

Das durch die Mangelernährung stark geschwächte Immunsystem der Kinder ist angreifbarer für andere Infektionskrankheiten, wie beispielweise Malaria oder Cholera. Auf lange Sicht kann es zu Wachstumsstörungen kommen, etwa entwickeln sich die Organe oder das Gehirn nicht richtig. Werden die Kinder nicht rechtzeitig behandelt werden, sterben sie.

 Elisa de Siqueira

Mangelernährung ist weltweit für fast jeden zweiten Todesfall bei unter Fünfjährigen verantwortlich.

Elisa de Siqueira, politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen und Expertin für das Thema Klimakrise im humanitären Kontext

Ohne Regen geht es um Leben und Tod

Nord-Kamerun und der Tschad gehören zur Sahel-Region, wo die Regenzeit wieder viel zu kurz war. Normalerweise regnet es hier von Juni bis September, aber 2021 waren es zum Beispiel nur zwei Monate. Die Dürreperiode ist Jahr um Jahr länger und härter. In der gesamten Region wird das Wasser immer knapper. Es gibt keine Bewässerung für die Felder, kein Trinkwasser für die Viehherden und die Menschen.  

Der Boden ist vielerorts bereits ausgetrocknet. Das Getreide wächst nicht mehr bis zu seiner vollständigen Größe: Die Ernten fallen geringer aus. Die Lebensmittelvorräte sind früh im Jahr aufgebraucht. Die Getreidepreise steigen. Es gibt nicht genug nährstoffreiches Essen für die Bevölkerung. Viele leben hier von der Land- oder Viehwirtschaft. Sie können es sich nicht leisten, Lebensmittel auf dem Markt zu kaufen, vor allem bei global steigenden Preisen. Viele Menschen entscheiden sich deshalb dazu, ihr Land zu verlassen. 

 

Illeret malnutrition Response
Njiiri Karago/MSF

Klimakrise und Ernährungsunsicherheit

Die Klimakrise verringert Ernährungs- und Wassersicherheit. Sie macht jahrelange Fortschritte, die wir in der Bewältigung der Ernährungs- und Wasserunsicherheit erzielt haben, zunichte. Das betrifft besonders die am stärksten unterversorgten Bevölkerungsgruppen auf der ganzen Welt und verwehrt ihnen einen wesentlichen Aspekt guter Gesundheit.

Als medizinische Organisation arbeiten wir seit Jahrzehnten in den Klimabrennpunkten dieser Welt. Wir sehen jeden Tag die direkten lebensgefährlichen Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit. Wir beobachten in diesen Regionen, wie immer mehr Menschen an Mangelernährung, Infektionskrankheiten, Atemwegserkrankungen und psychischen Erkrankungen leiden.   

 Elisa de Siqueira

Wie so oft sind die Verletzlichsten der Gesellschaft am stärksten betroffen - sie sind auch gleichzeitig diejenigen, die am wenigsten zu den Ursachen des menschengemachten Klimawandels beigetragen haben.

Elisa de Siqueira, politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen und Expertin für das Thema Klimakrise im humanitären Kontext

Als humanitäre Organisation ist es unsere Pflicht, für diese Menschen da zu sein. Noch mehr aber sind die Regierungen reicher Industrienationen wie Österreich verpflichtet, die Folgen dieser Krise abzumildern. Sie haben die Entstehung und Verstärkung der Klimakrise mitzuverantworten.