Rom: Neues Zentrum für Überlebende von Folter und Gewalt

14.04.2016
Medizinische und psychologische Hilfe sowie Rechtsberatung - Teams haben bereits 50 Menschen aus 18 verschiedenen Ländern behandelt.
Rom, Italien, 04.04.2016: Unser Team im neueröffneten Rehabilitationszentrum für Überlebende von Folter und anderen Formen inhumaner Behandlung.

Ärzte ohne Grenzen eröffnete Anfang April in Rom ein Rehabilitations-Zentrum für Überlebende von Folter und anderen Formen inhumaner Behandlung. Dort bieten unsere Teams sowohl medizinische und psychologische Hilfe als auch rechtliche Beratung an. Das Angebot richtet sich an MigrantInnen, Geflüchtete und Asylsuchende – unabhängig von ihrem Herkunftsort oder ihrem derzeitigen Status.

Das neue Projekt zählt zu einer Reihe von Aktivitäten, die Ärzte ohne Grenzen seit Oktober 2015 gemeinsam mit zwei Organisationen in Rom betreibt: In Partnerschaft mit der italienischen Vereinigung „Ärzte gegen Folter“ (Medici Contro la Tortura) und in Kooperation mit der „Vereinigung für Rechtsstudien zum Thema Immigration“ (Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione).

Bereits 50 Menschen aus 18 Ländern behandelt

Bisher haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen im Zentrum 50 Menschen aus 18 verschiedenen Ländern behandelt. Die meisten stammen aus der westlichen Sub-Sahara Region, dem Horn von Afrika, Ägypten und Südasien. Sie alle waren entweder in ihren Heimatländern Gewalt ausgesetzt oder während der gefährlichen Reise, die sie auf sich nehmen mussten, um Europa zu erreichen.

„Bei der Versorgung von Migranten und Geflüchteten begegnen wir tragischen Geschichten von Gewalt und Missbrauch, die spezielle Aufmerksamkeit und Behandlung benötigen“, berichtet unser Projektkoordinator Gianfranco De Maio. „Hier ist es uns möglich, enge Verbindungen mit Menschen aufzubauen und die tiefgreifenden Gefühle zu bearbeiten, mit denen sie zu kämpfen haben – und all das bei vollem Schutz ihrer Privatsphäre.“

Vertrauen aufbauen und Zuversicht ermöglichen

Bei der Gestaltung des Zentrums wurde besonders darauf geachtet, dass die Menschen keiner Re-Traumatisierung ausgesetzt sind. Dazu könnte es kommen, wenn die Räumlichkeiten beispielsweise Erinnerungen an diejenigen Orte wecken, wo sie gefoltert wurden. „Das Zentrum wurde so entworfen, dass ermöglicht wird, gegenseitiges Vertrauen zwischen Patienten und Betreuern herzustellen und ein Gefühl von Zuversicht zu vermitteln“, so De Maio. „Das hier ist ein Raum, wo die Menschen mit Wut, Angst, Misstrauen und Resignation umgehen können – denn das alles sind direkte Folgen der Folter, der sie ausgesetzt waren.“

Ärzte ohne Grenzen bietet die rehabilitativen Leistungen auf Basis eines multidisziplinären Ansatzes an, umgesetzt von einem mehrköpfigen Team bestehend aus einem Arzt, einem Psychiater, einem Forensiker, einem Physiotherapeuten, zwei Sozialbetreuern, zwei Rechtsexperten und zwölf kulturellen Mediatoren und Übersetzern.

80% der Ankommenden waren Missbrauch oder Gewalt ausgesetzt

Ärzte ohne Grenzen baut bei diesem Projekt bereits auf Erfahrungen bei der Unterstützung von Asylsuchenden und MigrantInnen auf, die in Sizilien angekommen und in den dortigen Aufnahmezentren untergebracht worden waren. Rund 80% der Menschen, die Ärzte ohne Grenzen versorgte, gaben an, während ihrer Reise nach Europa Missbrauch und Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein – üblicherweise in Libyen, wo die meisten von ihnen mehrere Monate lang gestrandet waren. Aus diesem Grund werden im Rehabilitationszentrum in Rom nicht nur Folteropfer behandelt, sondern auch Menschen, die für längere Zeit eingesperrt waren, schlecht behandelt wurden oder in ihrem Heimatland oder auf dem Weg nach Europa Gewalt begegnet sind.

„Folter und unmenschliche Behandlung sind ein weiterverbreitetes Phänomen, und wir machen die Versorgung dessen zu einem Kernaspekt unserer Migrationsprojekte“, so Tommaso Fabbri, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Italien. „Ohne sichere Fluchtrouten nach Europa sind viele Menschen besonders dem Risiko von Missbrauch und Gewalt ausgesetzt, die langfristig schwere medizinische und psychologische Folgen haben können. Durch unsere Arbeit konnten wir Expertise bei der Arbeit mit Folteropfern entwickelt, und dieses Projekt wurde dazu gestartet, dem Leid dieser Menschen eine angemessene Versorgung gegenüberzustellen, und ihnen die Chance auf vollständige Rehabilitation anzubieten.“

Ärzte ohne Grenzen war erstmals im Jahr 2002 in Italien im Einsatz, besonders in den Ankunftsorten entlang der sizilianischen Küste sowie in Aufnahmezentren für MigrantInnen und Asylsuchende. Seit 2015 bestehen die Hilfsaktivitäten der Organisation hauptsächlich in der Bereitstellung von medizinischer und psychologischer Unterstützung für Menschen, die nach langen und gefährlichen Reisen im Land ankommen und dringend medizinische oder psychologische Hilfe benötigen. Für das Jahr 2016 stehen die Weiterführung und Stärkung der psychosozialen Hilfe für MigrantInnen im Fokus, sowohl in Rom als auch in Sizilien – im Rahmen von bereits laufenden oder neueröffneten Projekten.